Wofür es sich zu leben lohnt
anderen halten die Liebe für gegeben. Also müssen auch sie selbst am Ende einsehen, dass es sich unweigerlich um Liebe handeln muss – das ist Komödienlogik. In der Logik der Komödie wird aus gespielter Liebe notwendigerweise echte Liebe. [68] Denn das, was zählt, ist hier, nach ihrem materialistischen Prinzip immer die objektive Erscheinung, und nicht etwa die Meinung der Subjekte. Und die objektive Erscheinung – das, was andere sehen oder sehen könnten – wird in der Folge für die Komödienhelden selbst zwingend. [69] Dieser Zwang gehört zu den heitersten Effekten von atomarem Geschubse in der Komödie. Es ist eine genrebedingte Heteronomie, die unweigerlich ein erhellendes Licht auf das übrige Leben wirft.
Den philosophischen Gegensatz der dramatischen Gattungen hat, genau unter diesem Gesichtspunkt, auch Karl Marx bemerkt. Darum konnte er schreiben:
»Solange das
ancien régime
als vorhandene Weltordnung mit einer erst werdenden Welt kämpfte, stand auf seiner Seite ein weltgeschichtlicher Irrtum, aber kein persönlicher. Sein Untergang war daher tragisch.
Das jetzige deutsche Regime dagegen, ein Anachronismus, […] bildet sich nur noch ein, an sich selbst zu glauben, und verlangt von der Welt dieselbe Einbildung. Wenn es an sein eignes Wesen glaubte, würde es dasselbe unter dem Schein eines fremden Wesens zu verstecken […] suchen? Das moderne
ancien régime
ist nur mehr der Komödiant einer Weltordnung, deren
wirkliche
Helden gestorben sind.« (Marx [ 1844 ]: 381 f.) [70]
Marx unterscheidet also die Regimes, in Entsprechung zu den dramatischen Genres, anhand des Kriteriums, bei wem der Glaube (an ein Regime) angesiedelt wird. Das frühere, französische
ancien régime
glaubte selbst, gegen alle Welt, an sich und war dadurch tragisch. Das aktuelle, deutsche
ancien régime
hingegen glaubt nicht an sich und will nur, dass die übrige Welt an es glaube. Das ist komödiantisch.
Damit hat Marx en passant eine sehr präzise Definition der Gattungen geliefert, die das Idealistische der Tragödie und den Materialismus der Komödie trifft: In der Tragödie kommt es darauf an, was die Subjekte selbst glauben; in der Komödie dagegen kommt es darauf an, was die anderen glauben – beziehungsweise was andere hätten glauben können. In der Tragödie zählt die subjektive Meinung, in der Komödie dagegen die objektive Erscheinung – das ist die Marx’sche Definition.
Die Komödie reduziert somit den Charakter immer auf den Effekt einer Struktur – jeder wird für den gehalten, dessen Platz er einnimmt, und die Komödie findet das richtig so. Anstatt wie die Tragödie die Wahrheit im imaginären Selbstbild der Subjekte zu suchen und diese darin zu bestärken durch den Zuruf:
Ihr seid das, wofür ihr euch selbst haltet, nicht das, wofür die anderen euch halten. Lasst euch nichts einreden, glaubt an euch selbst!
, sagt die Komödie ihren Zuschauern vielmehr:
Ihr seid das, was die anderen glauben; nicht das, wofür ihr selbst euch haltet. Erzählt euch keine Geschichten!
Die Komödie folgt also der »goldenen Regel« des Materialismus, wie Althusser sie formuliert hat:
»Das Sein niemals durch sein Selbstbewußtsein beurteilen!«
(Althusser 1977 : 99 ).
Abschließend kann nun auch angedeutet werden, wie man von der ersten der beiden materialistischen Positionen, welche die Komödie vorführt, der These von der einen Welt, zur zweiten, der These vom Vorrang der Erscheinung, gelangt. Denn wenn die These von der einen Welt ihr Paradigma im Gelingen hat, so lässt sie nicht nur alle romantische Verliebtheit ins Unglück und ins Scheitern bleiben. Sie pfeift vielmehr auch auf die versteckte Selbstverliebtheit, die solchen Verlierermentalitäten zugrunde liegt. Denn gerade aus dem Scheitern in der Welt baut sich die tragische Weltsicht ihr kostbares Ich zusammen. Was sie an libidinöser Energie dem Ich zuführt, kann sie nur nehmen, indem sie es der Welt entzieht. Sie sucht darum die Niederlage, um das Selbstwertgefühl zu stärken.
Die Komödie hingegen hilft, dieser Neigung, sich aus dem Unglück »einen Charakter zu machen«, (s. Alain 1982 : 54 ) zu entgehen. Die Weltverliebtheit der Komödie ist eine Einübung in die Kunst, das Glück zu ertragen und nicht automatisch in der Selbstachtung und somit im Unglück das höchste Gut zu suchen. Mit kleinen atomaren Impulsen, die als Stöße des Lachens spürbar werden, wirft uns die Komödie aus der fatalen Bahn der Ichlibido, die Freud mit dem
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