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Wofür es sich zu leben lohnt

Wofür es sich zu leben lohnt

Titel: Wofür es sich zu leben lohnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pfaller
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Buchstäblichkeit in deren Gegensatz zu verkehren scheint. Erst als die Götter viel größer als die Menschen oder gar nur noch ein Einziger und ganz unsichtbar wurden, dürfte die Differenz für den Neid zu groß geraten und die Bedingung der Sichtbarkeit des bösen Blicks verlorengegangen sein.
    2 . Der Blick auf den Anderen
    Zweitens geht es beim Neid, wie gesagt,
nicht darum, dass wir etwas haben, sondern darum, dass der Andere es nicht hat
. Bereits Aristoteles bemerkt dies in seiner Rhetorik (Aristoteles 2007 : 108 ). – Nehmen wir, um uns das zu verdeutlichen, an, mein Autohändler wäre meiner neidigen Missstimmung gewahr geworden und würde, um mir zu helfen, nun kulanterweise meinen VW Golf gegen einen anderen eintauschen, der genau dieselbe Farbe hat wie der meines Nachbarn. Wäre mein Neid nun besänftigt oder getilgt? – Nein. Vielmehr würde mein Neid sich auf eine andere Eigenschaft verlagern; er würde sich miniaturisieren und sich nun zum Beispiel auf eine Chromleiste richten, die der Nachbargolf im Unterschied zu meinem hat, oder auf einen Kratzer, den er nicht hat. Jedes Mal, wenn es gelänge, die störende kleine Differenz zu beseitigen, wäre eine neue, kleinere da. Das, worum es beim Neid geht, wäre also eine mysteriöse Eigenschaft, nicht benennbar und winzig klein, die aber gewaltige Affekte auszulösen vermag – es wäre das, was man in der Geschichte der Kunst wie in der der Liebe als das »gewisse Etwas« – oder französisch als »je ne sais quoi« – bezeichnet hat (s. Ullrich 2005 : 9 ). Dieses gewisse Etwas ist zum Beispiel am Werk, wenn, wie Blaise Pascal bemerkt, zwei Gesichter, von denen keines für sich genommen komisch ist, durch ihre Ähnlichkeit zum Lachen reizen (s. Pascal 1997 : 40 ). Irgendetwas Winziges, meist schwer zu sagen, was, würde hier also enorme Erheiterung auslösen; so, wie es in weniger glücklichen Fällen zur Empfindung des Unheimlichen beim Double oder eben des Neids führte.
    Auch mit dem gleichfarbigen Golf bliebe meine Unzufriedenheit also erhalten. Vollkommen aufgehoben würde sie hingegen, wenn jemand in den geparkten Wagen meines Nachbarn raste und einen Totalschaden verursachte. Dann wäre ich vollends zufrieden. Mein Neid ließe sofort nach. Dies ist es, was Friedrich Nietzsche als »Ressentiment« bezeichnet hat (s. Nietzsche [ 1887 ]: 230 ). Das Ressentiment, wie es gegenwärtig zum Beispiel oft in einer sich als politisch begreifenden Kunst auftritt, sieht lieber den anderen arm als sich selbst reich; und lieber alle klein als manche groß. Niemand darf dann bewundernswert, glamourös, strahlend sein; alle sind nur dann beruhigt, wenn nichts mehr hervorsticht – eine Bedingung, die allerdings umso schwieriger zu erfüllen ist, je mehr auf ihre Einhaltung geachtet wird. Denn dann miniaturisieren sich wieder die Differenzen. Darum werden alle Beteiligten nur immer unruhiger, je mehr sie sich in Bescheidenheit einander angeglichen haben.
    Auch wenn der Neid innerhalb einer theologisch nicht ganz korrekten christlichen Tradition als eine sogenannte »Todsünde« gelten mag, darf man immerhin eines von ihm sagen: Der Neid ist nicht egoistisch. Er schaut keineswegs nur auf sich selbst. Er ist vielmehr vollkommen altruistisch: Er schaut ständig nur auf den Anderen.
    3 . Das Ungewollte
    Würde er das nicht tun, dann müsste er nämlich bemerken,
dass wir – drittens – das, worum wir den Anderen beneiden, selbst gar nicht haben wollen
.
    Jacques Lacan hat das präzise erkannt:
    »Wer könnte sagen, daß das Kind, das sein Brüderchen betrachtet, noch das Verlangen hätte, an der Brust zu liegen. Jeder weiß, daß der Neid für gewöhnlich hervorgerufen wird durch den Besitz von Gütern, die dem, der neidet, von keinerlei Nutzen wären und deren wahre Natur dieser nicht einmal ahnt.« (Lacan 1980 : 123 )
    Vor Lacan hatte auch Spinoza dies bemerkt, und Spinoza hatte es, im Gegensatz zu Lacan ( 1980 : 123 ), nicht allein vom Neid, sondern ebenso auch von der Eifersucht behauptet: Auch in der Eifersucht wird, Spinoza zufolge, dasjenige, worum der Andere beneidet wird, gar nicht gewollt. Man muss die vermeintlich geliebte Person hassen, um auf jenen Anderen eifersüchtig sein zu können, der von ihr geliebt wird:
    »Wenn jemand sich vorstellt, daß das Ding, das er liebt sich einem anderen mit dem selben oder mit einem engeren Freundschaftsband verbindet, als mit dem es ihm bisher allein zugehörte, so wird er das geliebte Ding selbst hassen

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