Wofuer es sich zu sterben lohnt
den Titel der Miss Ethiopia. Die Bewerberinnen drängten sich auf der Büh ne zusammen, frisch frisiert und nervös, kichernd wie eine Schulklasse auf einem Ausflug.
Salomon war in seinem Element. Ab und zu lief er mit großen Schritten umher. Dirigierte Frauen, Techniker und Musiker mit Lächeln und Kopfschütteln.
»Nein … noch mal … gut!«
Um die Bühne hatten sich einige Zuschauer versammelt, vor allem Männer, die die Gelegenheit nutzten, um sich die bildschönen Frauen in ihrer knappen Bekleidung ausgie big anzusehen.
Mariam stellte sich an die Querseite der Bühne.
Salomon sprach mit dem Beleuchter, zwinkerte Mariam verschwörerisch zu, als wüssten nur sie und er, was er wirk lich von Schönheitswettbewerben allgemein und diesem hier ganz besonders hielt. Dann gab er dem Beleuchter, dem es schwerfiel, sich zu konzentrieren, weitere Anwei sungen.
»Ich werde mit der jungen Dame, die auf dem dritten Platz landet, hier stehen.«
Er zog die nächststehende junge Frau dicht neben sich.
»Und jetzt werden die anderen Lichter ausgemacht, und nur wir werden noch angestrahlt.«
Jetzt gab es kein anderes Ziel mehr für die Blicke. Salo mon und die anonyme Miss Bewerberin beherrschten das Foyer.
»Danach holen wir das arme Mädchen, das fast gewon nen hätte«, sagte Salomon jetzt. »Sie steht dann hier auf meiner anderen Seite, und es gibt eine Fanfare für sie.«
Ein weiterer Scheinwerfer wurde eingeschaltet, das Licht traf einen fast glatzköpfigen Trompeter, wurde aber schnell so gedreht, dass auch ein junger Schlagzeuger hinter seinen Trommeln zu sehen war. Sie setzten zu einem Crescendo an, fast gleichzeitig. Der Schlagzeuger, der ins Hintertref fen geraten war, starrte den Trompeter wütend an, und der Trompeter verdrehte die Augen, während er voll loslegte. Der Lärm war ohrenbetäubend, und der Tontechniker jag te zu seinem Mischpult.
Vor Mariams Füßen fiel mit dem dumpfen Dröhnen von solidem Metall auf Stein ein schwerer Gegenstand zu Bo den. Sie schaute nach unten, sah die Waffe und entdeckte dann Theo.
Er war hereingekommen und in der Dunkelheit neben sie getreten. Sie hatte ihn nicht kommen sehen, aber jetzt sah sie sein Gesicht, und es sah aus wie damals in Genf. Er starrte sie ängstlich an, und sie spürte, wie ihr eigenes Ge sicht seins widerspiegelte. Wie die Augen sich erweiterten, um besser sehen, sich besser verteidigen zu können. Wie das Gesicht erstarrte, wie der Mund sich öffnete, damit sie schneller atmen konnte.
Sie beobachtete ihn wie in Zeitlupe. Sie sah seinen Fuß, der aussah wie irgendein Teenagerfuß, der die Waffe weg schob - denn es war eine graue Pistole, die da zwischen ih nen auf dem Boden lag, in der Dunkelheit kaum zu erken nen. Sie sah die Pistole über den Marmor gleiten und unter einer kleinen Plattform vor der einen Wand verschwinden, wo eine junge Frau in Tracht die Kaffeezeremonie vorführte. Sie sah, dass die Pistole sich wie ein Propeller drehte, wie sie über den glatten Boden unter der weiß gekleideten Frau glitt, die Salomon aus weit aufgerissenen Augen anstarrte.
Denn Salomon war zusammengezuckt und sank jetzt langsam in sich zusammen. Seine Knie gaben nach, und er drehte der nächststehenden lächelnden Missbewerbe rin ein überraschtes Gesicht zu. Die zuckte zuerst zurück. Dann ging ihr auf, dass etwas nicht stimmte. Ihr Gesicht wurde weicher, sie versuchte, ihn auf den Beinen zu hal ten, was ihr aber nicht gelang, und dann ging sie mit ihm zu Boden.
Am Ende kniete sie da in ihrem kurzen glitzernden grü nen Kleid und hatte die Arme um Salomon gelegt, während sein Kopf an ihre Schulter gesunken war.
Sie drehte vorsichtig sein Gesicht um, seine Augen und sein Mund waren offen. Als sie den roten Fleck auf seinem Hemd sah, schrie sie:
»Er ist verwundet! Er ist angeschossen worden!«
Sie hob hilfesuchend den Blick, der Blick irrte durch das Dunkel, das sie umgab.
Der Trompeter verstummte jäh. Der Schlagzeuger trom melte gelassen weiter, seine nächsten Schläge betonten, wie still es im Hotelfoyer geworden war.
Dann geschah alles auf einmal.
Jemand schaltete die Lichter ein, Sicherheitsleute ka men mit gezogenen Waffen angestürzt, eine Frau schrie. Der Arzt, der die Miss Wahl betreute, ein fetter Europäer mit schütterem Haar, der sich hinter einem Sofa versteckt hatte, kam langsam hervorgekrochen, richtete sich auf und ging zögernd auf Salomon zu. Er fühlte ihm mit beleidig ter Miene den Puls, als halte er es für einen Stilbruch,
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