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Wofuer es sich zu sterben lohnt

Titel: Wofuer es sich zu sterben lohnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åsa Nilsonne
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dass Salomon bei einer Veranstaltung erschossen worden war, bei dem der Arzt doch eigentlich nichts Gefährlicheres er wartet hatte als Blasen an schönen Füßen.
    »Holt einen Krankenwagen«, sagte er völlig überflüssiger weise. »Aber das hat keinen Zweck mehr. Er ist tot.«
    Theo und Mariam standen dicht nebeneinander, schwei gend, bewegungslos.
     
    Einige Stunden darauf saßen sie wieder im schützenden Gehäuse des Autos.
    Bisher war alles gut gegangen.
    Die Polizei hatte mit allen Anwesenden gesprochen. Sie hatten sich Namen und Adressen geben lassen. Sie hatten um kurzgefasste erste Zeugenaussagen gebeten.
    Leider, hatte Mariam gesagt, wir haben nichts gesehen, nur, dass er erschossen worden ist. Das war ein schreckli cher Schock, wir kannten ihn flüchtig. Er hatte uns hierher eingeladen.
    Die junge Polizistin, der es gelang, ihrer Uniform Gla mour zu geben, hatte mit ihnen gemeinsam gesprochen, mit Mutter und Sohn. Theo hatte allem zugestimmt, was Mariam gesagt hatte.
    Mariams zwei Herzen hatten sich so chaotisch aufge führt, dass sie keinem von beiden vertrauen konnte. Sie hatte Angst gehabt, in Ohnmacht zu fallen oder in Panik zu geraten. Aber sie hatte sich auf den Beinen halten kön nen, war ruhig geblieben, jedenfalls ruhig genug. Eine Ärz tin darf nicht in Ohnmacht fallen, wenn jemand erschos sen wird, nicht einmal, wenn es sich dabei um einen Be kannten handelt.
    Die junge Polizistin hatte nicht misstrauisch gewirkt. Sie hatte ihre Fragen vorsichtig gestellt, fast freundlich. Wuss ten sie, ob Salomon Feinde gehabt hatte? Natürlich hat te er Feinde, das war doch sicher allgemein bekannt, aber wer ihn gerade jetzt zum Schweigen hatte bringen wollen - nein, das wussten sie wirklich nicht. Sie waren privat mit ihm bekannt gewesen, nicht beruflich.
    Wo genau hatten sie gestanden? Das war schwer zu sagen. Ungefähr hier. Oder eher hier. Mariam hatte sich gefragt, ob eine schwere Waffe Spuren hinterlässt, wenn sie auf ei nen Marmorboden fällt.
    Sie war daran gewöhnt, in Koordinaten zu denken. Sie hätte vermutlich auf den Zentimeter genau zeigen können, wo sie gestanden hatte, aber das tat sie nicht, sie zeigte auf eine Stelle, die ungefähr zwei Meter davon entfernt war.
     
    Sie erinnerte sich daran, wie sie den kleinen Jungen in Genf gerettet hatte. Sie hatten sechsunddreißig Liter Blut in den kleinen Körper gepumpt, der schneller ausblutete, als sie nachfüllen konnten. Sechsunddreißig Liter Blut reichen, um Decke und Wände zu färben. Sie reichen, um Opera tionskleidung, Laken und Verbandsstoff zu durchtränken. Schon bald hatte es ausgesehen wie nach einem Massa ker. Die Luft war gesättigt gewesen von Verwünschungen, Schweißgeruch und dem widerlichen schweren Duft des Blutes. Mariam hatte genau wie Chirurgen, Operations schwestern und Narkosepersonal weitergearbeitet. Überall war Blut gewesen, nur nicht in dem bleichen kleinen Kör per, der einem in Panik geratenen Nachbarn mit einem frisch geschliffenen Jagdmesser in die Quere gekommen war. Es war ein Nachbar gewesen, der sich gegen Feinde zu wehren versuchte, die nur er sehen konnte.
    Sie hatten sich auf das konzentriert, was getan werden musste, sie hatten alles außer Acht gelassen bis auf ihre un mittelbare Aufgabe. Und am Ende, wie durch ein Wunder, hatten sie die durchtrennten Gefäße flicken können. Sie hatten den Strom des Blutes anhalten und schließlich ver siegen lassen können, und der kleine Körper war von dem neuen roten Blut frisch und rosig geworden.
    Sie hatten der Panik nicht die Herrschaft überlassen.
    Und jetzt musst du so funktionieren wie damals, hatte sie sich gesagt. Ruhig sein, effektiv, ohne dich in den Um ständen zu verfangen.
    Nicht an die Waffe denken.
    Nicht an Theos verzerrtes Gesicht denken.
    Dich nur auf den Moment konzentrieren.
    Auf das Gesicht der Polizistin, auf ihre Worte, ihr zuhö ren, obwohl es in deinen Ohren rauscht.
    Sie hatte es geschafft. Jetzt saßen sie wieder im Auto, und das Schweigen, das Salomon hieß, war so groß und so dun kel geworden, dass es sie ersticken könnte. Es könnte an schwellen und sich ausbreiten, und sie würden am Ende als dünner Film aus Menschlichkeit an die Innenseiten des Autos geschmiert werden.
    So durfte sie nicht denken.
    Jetzt musste sie nach Hause fahren, durfte nicht zu sehr zittern, keine rote Ampel und keine Fußgänger übersehen, die gerade die Straße überquerten.
    Nur fahren. Schalten, bremsen, Gas geben.
    Das Schweigen, das Salomon

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