Wofuer es sich zu sterben lohnt
Aufenthaltsraum des Gymnasiums hatte der Fernseher besser überlebt als die übrigen geschundenen Einrichtungs gegenstände. Vermutlich lag es daran, dass er an der Decke befestigt war. Der Bildschirm zeigte einen Rapper aus den USA, der sich immer wieder in den Schritt griff, wie um sich davon zu überzeugen, dass seine edlen Teile noch vorhan den waren. Um ihn herum tanzte eine Handvoll langbei niger junger Frauen in überaus kurzen Shorts.
Sebbe riss die Tür auf, damit Juri, den Arm um Helena gelegt, eintreten konnte. Jamal folgte, er ging mit leichten Schritten, trotz seiner Größe.
»Weg da«, sagte Juri zu denen aus der zweiten Klasse, die auf dem ramponierten Sofa saßen. »Wir wollen Fuß ball sehen.«
Die aus der Zweiten standen widerwillig auf. Jemand sag te so leise, dass fast nur sein nächststehender Kumpel das hören konnte:
»Aber hört mal. Wir waren zuerst hier …«
Jamal schaute nur, und sofort schlugen die aus der Zwei ten die Augen nieder und machten, dass sie fortkamen.
Juri schaltete einen anderen Sender ein und setzte sich breitbeinig auf das Sofa. Er zog Helena neben sich.
Zwei aus der ersten Klasse, die Schach gespielt hatten, sammelten sofort ihre Figuren ein und verließen den Raum.
»Wiedersehn, Drecksgören«, kommentierte Sebbe und brüllte dann: »AAArsenal - yeah!«
Das kleinste der vom Sofa vertriebenen Mädchen lunger te noch herum. Es sagte laut:
»Ihr seid ja verdammt erwachsen. Verdammt.«
Juri und Jamal ließen sich zu keiner Reaktion herab, wie zwei Rottweiler einen chinesischen Nackthund ignorieren, wenn dieser Streit sucht. Sebbe grinste die Kleine an und bewegte seine rechte Hand in seinem Schritt einige Male auf und ab.
»Du rothaariges Schwein«, sagte das Mädchen und wand te sich ab.
Sebbe lachte zufrieden.
Die Kleine aber verließ das Zimmer nicht, sie setzte sich an den Tresen auf der anderen Seite des Raumes, wo Theo gerade Haferbrötchen auspackte. Diese wurden zum Selbst kostenpreis verkauft, und die Schüler waren selbst für den Verkauf zuständig, was manchmal klappte, wie an diesem Tag, wo Theo dafür zuständig war. An anderen Tagen klapp te es überhaupt nicht.
»Gib mir eine Cola, Theo, und etwas von deiner Ge duld.«
Theo schüttelte den Kopf.
»Hallo, Vivi. Cola, bitte sehr. Mit der Geduld ist das schon schwieriger.«
Sie öffnete die Cola und sah ihn lange an.
»Ich finde jedenfalls, dass du jede Menge Geduld hast. Vielleicht zu viel. Du bist ja fast unnatürlich ruhig.«
Unnatürlich ruhig? Machte er wirklich so einen Ein druck?, überlegte er.
Wo er sich doch vor so vielen Dingen fürchtete. Wo er noch immer vor sich sah, wie die Waffe über den blanken Marmorboden glitt, und wo er jedes Mal von Neuem in Pa nik geriet. Wo er sich noch immer vor Messern fürchtete. Wo er diese lange Narbe hatte, die sich manchmal anfühlte, als ob sie mit ihm reden wollte. Unnatürlich ruhig?
Im Moment hatte er einen ganz anderen Eindruck. Und vor ihm auf dem Sofa saß Juri mit seinen schweineteuren Turnschuhen und seinen fetten Händen, die Helena keine Ruhe ließen.
Vivi lungerte weiter am Tresen herum, sie beantwortete ausführlich eine SMS, ihre langen Haare fielen nach vorn und verdeckten ihr Gesicht. Als sie fertig war, sah sie wie der Theo an, errötete ein wenig und sagte:
»Ich finde, dafür, dass du noch nicht sehr lange hier bist, sprichst du sehr gut Schwedisch.«
Theo antwortete zerstreut, wie schon so oft:
»Ich hatte schon schwedische Freunde, ehe ich herge kommen bin. Ich war oft bei ihnen, und Sprachen lernen fällt mir leicht.«
Er hatte keine Lust, sich mit Vivi zu unterhalten, er wand te sich ab, versuchte sich aufs Gläserputzen zu konzent rieren, Kaffeepfützen vom Boden aufzuwischen. Am Ende nahm sie ihre Cola und ging.
Er hatte auch keine Lust, sich um Juri und Helena zu kümmern, aber die zogen seine Aufmerksamkeit auf sich.
Gerade an diesem Tag fühlte er sich fast unerträglich provoziert von Juris entspanntem Körper, der anzudeu ten schien, dass Juri sich vor nichts zu fürchten brauchte. Es provozierte ihn, dass Juri keine Rücksicht darauf nahm, dass Helena sich nicht für Fußball interessierte. Sie schaute kein einziges Mal die kleinen Gestalten an, die den weißen Punkt auf dem Bildschirm hin und her jagten. Juris laute Stimme provozierte ihn.
»Scheiße«, sagte Juri, als der Torwart einen Ball fing, der eigentlich wie ein sicherer Treffer ausgesehen hatte. »Der ist super! Klasse für so einen
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