Wofuer es sich zu sterben lohnt
Identität und Lebensgeschich te überlegt. Der junge Fahrer hatte gefragt, woher er stamme, wann er nach Botswana gekommen sei, wie lange er bleiben wolle, was er von Beruf sei. Er hatte so kurz wie möglich ge antwortet, war im Rückspiegel aber die ganze Zeit aus mun teren, neugierigen Augen beobachtet worden.
Seine Haut war wie eine einzige große Mitteilung.
Fremder. Ausländer. Gast.
Er hinterließ in der Erinnerung der anderen eine brei te, deutliche Spur, er, der sonst doch so gut wie unsicht bar war.
Er blieb vor einem Fußgängerübergang stehen. Eine un glaublich große Frau in einem ungeheuer kleinen Auto fuhr langsamer, damit er die Straße überqueren könnte. Sie musterte ihn interessiert. Er musste ihren Blick einfach erwidern.
Das war nicht gut. Er stellte sich vor, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt nicken und sagen würde:
»Ja. Diesen Mann habe ich gesehen, ich bin ganz sicher, dass er es war.«
Er versuchte, sein Unbehagen abzuschütteln. Es gab kei nen Grund zu der Annahme, dass dieser Auftrag schwerer durchzuführen sein würde als einer der früheren.
Diesmal ging es um Professor Motbeki. Motbeki - diese Radiologen hatten wirklich komische Namen. Und warum konnten sie nicht auf dem Teppich bleiben?
Diese Frage war neu für ihn. Er erfuhr nicht mehr, als er wissen musste, um seine Aufträge ausführen zu können. Bisher hatte ihn das nie gestört. Es war nicht seine Sache, sich ein Urteil über die Menschen zu bilden und die Todes urteile, die er vollstreckte, zu hinterfragen.
Er war immer damit zufrieden gewesen, dass er die Macht über Leben und Tod im wahrsten Sinne des Wortes in sei nen Händen hielt.
Ein anderer neuer Gedanke war, dass seine Macht un vollkommen war. Er konnte Leben nehmen, doch er konn te nicht begnadigen. Plötzlich war das störend, obwohl es ihm bisher nie etwas ausgemacht hatte.
Eine tiefe Erinnerung meldete sich ungebeten zu Wort. Einer seiner ersten Aufträge hatte sich auf einen Kollegen bezogen. Einen Mann, der im entscheidenden Moment nicht hatte abdrücken können. In dem Moment, in dem er seine Pistole gesenkt hatte, hatte er sein Todesurteil un terschrieben. Der, den er hatte erschießen sollen, war etwas später am selben Tag von einem anderen erschossen wor den. Er selbst hatte sich offenbar mit seinem Schicksal aus gesöhnt. Er hatte es demjenigen, von dem er wusste, dass er kommen würde, leicht gemacht. Er war zu langen, ein samen Spaziergängen aufgebrochen. Er hatte nicht einmal versucht, dem Auto auszuweichen, das vor ihm sein Tem po verlangsamte.
Der Mann, der jetzt seine wirkungslosen dunkelbrau nen Kontaktlinsen trug, hatte damals nicht sonderlich viel nachgedacht. Der andere war in seinen Augen alt gewesen. Seine Haare wurden über den müden Augen schütter, und der Blick, der sich auf ihn gerichtet hatte, hatte nur Resig nation enthalten.
Plötzlich bereute er, mit seinem angehenden Opfer nicht ein paar Worte gewechselt zu haben. Nicht gefragt zu ha ben: »Was ist passiert nach all diesen Jahren, nach all den Aufträgen? Konntest du dich nicht konzentrieren? Hat dich plötzlich die Kraft verlassen? Oder der Mut?«
Gab es noch etwas anderes, das einen Profi dazu bringen konnte, die Waffe sinken zu lassen und dem eigenen Tod entgegenzugehen?
Damals hatte er sich solche Fragen nicht gestellt. Damals hatte er den älteren Mann nur als Versager betrachtet. Als einen, der seine Arbeit nicht mehr schaffte. Einer, der erle digt war. Der Schuss war nur eine Bestätigung dessen gewe sen, was bereits geschehen war.
Mit einem Schauer des Unbehagens fragte er sich plötz lich, ob es so vielleicht anfing, mit solchen Gedanken.
Er kehrte zu seinen Überlegungen über die Ärzte zurück. Solche Aufträge waren einfach, aber dennoch nicht ganz angenehm. Normalerweise lebten die Menschen, die er tö tete, in derselben Welt wie er. Sie arbeiteten außerhalb der Legalität. Sie nahmen hohe Risiken auf sich, um große Ge winne einzufahren. Sie wussten, dass sie in einer Welt der Todesstrafe lebten. Die Ärzte dagegen lebten in einem Par alleluniversum und gehorchten anderen Gesetzen. Deshalb hatten sie keine Leibwächter, deshalb konnten sie wie Kat zenjunge getötet werden. Wieder fragte er sich, was sie ver brochen haben mochten.
Beim ersten Mal war er, obwohl er wusste, wie gefähr lich es ist, zu verallgemeinern, davon ausgegangen, dass der Arzt, ein Kolumbianer, in eine Drogenfehde verwickelt gewesen war. Es gab natürlich jede Menge
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