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Wofür stehst Du?

Wofür stehst Du?

Titel: Wofür stehst Du? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni di Lorenzo Axel Hacke
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einmal beobachtet, wie unter dem Eindruck einiger tragischer Unfälle eine Verordnung gegen Kampfhunde auf den Weg gebracht wurde: Da sei kein Raum mehr für Einzelfallregelungen gewesen, und der Bürger, der eine angeblich gefährliche Hunderasse hielt, obwohl sein Tier zahm wie ein Osterhase war, verstand die Welt nicht mehr.
    Wen hat R. vor Augen, wenn er sich selbst für Politikmotivieren muss? Wem möchte er etwas Gutes tun? »Ich denke an eine Tante und einen Onkel, die inzwischen gestorben sind. Sie führten mit großer Hingabe ein Geschäft im Westen Deutschlands, dekorierten ihr Schaufenster alle paar Wochen um, besuchten Fortbildungskurse, gaben sich unendlich viel Mühe mit ihren Kunden. Aber was sie auch anstellten: Irgendwann waren sie der Konkurrenz der Supermärkte und Discounter nicht mehr gewachsen, sie mussten aufgeben. Es waren so rechtschaffene Menschen.« R. sagt, immer wieder behaupteten Politiker, eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe habe kaum Fürsprecher. An die vielen Rechtschaffenen im Land, die es selbst schaffen wollten, über die jedoch Veränderungen hinwegbrächen, ohne dass sie eine Chance hätten, sich dagegen zu wehren – an die denke wirklich kein Mensch, schon gar nicht in den Medien.
    Das klingt schön und auch einnehmend, aber hat ein Politiker, der ganz nach oben will, nicht in allererster Linie die Macht vor Augen? Und wird er dabei nicht notwendigerweise zynisch? R. sagt, es sei nicht die eigentliche politische Arbeit, die Politiker zu Zynikern mache, es seien die vielen Verletzungen auf dem Weg nach oben: die Enttäuschung, wenn Freunde zu Rivalen werden, oder die Erfahrung der Eitelkeit der anderen. Merkwürdigerweise habe ich Politiker schon oft über Eitelkeit klagen gehört, die eigene haben sie nie vor Augen.
    Zwänge, Rücksichten, Egoismen, wahltaktische Spielchen. Je länger man R. zuhört, desto mehr fragt man sich,ob dieser Alltag außerhalb der Politik noch jemandem vermittelbar ist. Vor allem aber, ob diese Kennzeichen nicht dazu führen, dass eine gefährlich große Zahl von Bürgern die parlamentarische Demokratie mit einem im Kern wenig effizienten und deswegen wenig attraktiven Staat in Verbindung bringt. R. findet diesen Eindruck ungerecht, und man kann ihn auch verstehen: Demokratische Prozesse seien nun mal mühsam, aber sie hätten ganz viel mit den Wählern zu tun.
    Der stärkste Antrieb zur Veränderung komme nämlich gar nicht von der Politik, sondern von der Gesellschaft: »Diese Gesellschaft wächst immer dann über sich hinaus, wenn sie der Politik ganz deutlich machen kann, was sie will.« R. ist sich sicher, dass man Deutschland schon innerhalb eines Jahrzehnts gründlich verändern könnte. So sei es zum Beispiel möglich, einen ausgeglichenen Haushalt hinzubekommen, man könne sogar vom Leitbild des Wirtschaftswachstums Abschied nehmen. Nur müsse es dann auch einen Konsens im Land geben, ein bisschen weniger materiellen Wohlstand hinzunehmen: weniger Fernreisen, weniger Energieverbrauch, geringere Rentenzahlungen. »Das kann man haben«, sagt R. »Und ich bin sogar sicher: Die Menschen in Deutschland wären nicht unglücklicher.«
    Klingt so, als seien nicht wir die Getriebenen der Politik, sondern als würden die Politiker letztlich von uns getrieben. Und selbst wenn R. hier übertreiben sollte, ist doch die Botschaft klar: Wir, die Bürger, haben viel Macht.
    Es merkt nur keiner.

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    Meine Heimat in der Fremde
    oder
    Warum ich etwas dagegen hatte, dass mich ein Oberstudienrat aufhängen wollte
    An einem kalten Wintermorgen landeten wir auf einem fremden Planeten namens Hannover. Wir waren mit dem Nachtzug aus Rom gekommen, meine Mutter, mein Bruder und ich, begleitet von einer deutschen Tante, die meiner Mutter unter die Arme griff. Mein Vater hatte sich ein paar Tage zuvor während eines Spaziergangs auf dem Petersplatz von mir verabschiedet. Er sagte, wir sollten schon einmal nach Hannover vorfahren, er werde später nachkommen. Ich nickte, aber ich wusste, dass er nicht die Wahrheit sprach. Meine Eltern hatten sich getrennt. Deshalb kehrte meine Mutter mit ihren Söhnen nach Deutschland zurück.
    Wenn mir Hannover wie ein Albtraum vorkam, lag das bestimmt nicht nur an der Stadt. Aber eine niedersächsische Provinzstadt hatte in den Siebzigerjahren eben auch noch nichts mit dem relativ offenen Deutschland zu tun, wie wir es heute vor Augen haben.
    Mein Bruder und ich wurden von der fünften Klasse der italienischen Grundschule in

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