Wofuer wir kaempfen
Freunde, auch Antje nicht – hatte von mir erwartet, dass ich damit so offensiv umgehen kann. Ich bin kein Held, kein Überflieger, und ich weiß nicht genau, warum das bei mir so ist. Ein Grund mag sein, dass ich immer zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Menschen treffe, die mir die Augen öffnen. Nach wenigen Tagen auf der Station kam ein Fachmann aus der Orthopädietechnik und hat mir erzählt, welche Prothesen es gibt. Was mich damals völlig elektrisiert hat war sein Satz: ›Mit den modernen Prothesen kannst du eigentlich wieder alles machen.‹ Ich habe nachgefragt: ›Auch Radfahren?‹ ›Klar, Radfahren.‹ ›Skifahren – Bergsteigen? ‹ ›Klar, geht auch. Wenn der Unterschenkel komplett ab ist, kannst du dich mit einer Prothese am Ende besser bewegen, als mit einem kranken, verkrüppelten Fuß, der dran ist. Wenn also ab – dann besser ganz und richtig ab. Das ist so bei dir, Glückwunsch!‹ Dann schaute er mich prüfend an: ›Du kannst alles – aber der Kopf muss mitspielen. Wenn der Kopf nicht mitspielt, dann kannst du die modernste Sportprothese
haben – du läufst damit nicht.‹ Das war die Aussage, die ich gebraucht hatte. Ich konnte es gar nicht erwarten, bis der Verband abkam und ich meine erste Prothese hatte – das erste Mal wieder auf eigenen Beinen zu stehen nach dem langen Liegen und vielleicht auch zu gehen – das war mein Ziel für die folgenden Wochen.
Ich hatte mein Schicksal also angenommen – ich haderte nicht damit, warum es mich getroffen hatte. Ich akzeptierte, dass ich es nicht rückgängig machen konnte. Für mich war klar, das Leben geht weiter und jetzt eben mit Prothese. Ich habe mich mit negativen Gedanken gar nicht aufgehalten, sondern war nach dem entscheidenden Satz des Orthopäden darauf aus, möglichst rasch wieder selbst auf die Beine zu kommen und Rad zu fahren. Dieses Ziel zu haben und auch zu sehen, dass es da konkrete Hilfsmittel, also Chancen gibt, das war ein echter Glücksfall. Ich hatte ein ehrgeiziges Ziel und würde jetzt alles tun, um es auch zu erreichen.«
Soweit Tinos Vorsatz. Aber wer weiß schon, wie das mit einer Prothese ist, wenn er noch nie eine hatte. Wie sie mit dem Bein verbunden wird, wie sie sich anfühlt. Der Stumpf ist ein sehr sensibler Begleiter nach einer Amputation. Das abgerisse Ende ist ja nicht organisch zugewachsen, sondern nur durch einen transplantierten Hautlappen überdeckt, der den Stumpf wie eine Socke zusammenhält. Tinos Knie ist unbeschädigt. Ganz normal. Eine Handbreit darunter aber wurde der Knochen abgesägt, Muskeln und Sehnen durchtrennt. Das ist der Stumpf, den man seit Piratenzeiten mit einer Prothese verlängert hat. Beim Gehen muss dieser Stumpf im Wechsel mit dem gesunden Bein das ganze Körpergewicht tragen.
Die Komplikationen im Stumpf durch Überlastung können so schwer sein, dass bei manchen Patienten scheibchenweise immer weiter das Bein amputiert werden muss, bis sich ein entzündungsfreier
Stumpf herausgebildet hat, der eine Prothese halten kann. Wenn die Wunde am Abschluss des Stumpfs gut verheilt ist, dann wird ein Gipsabdruck gemacht, um den Schaft der Prothese herzustellen. Der Beinstumpf steckt später möglichst tief in diesem trichterförmigen Schaft der Prothese und gibt dem Stumpft nach allen Seiten Halt. Das sind Maßanfertigungen. Tinos ersten Unterschenkel haben ihm die Orthopäden damals ausgesucht. Das ging nicht nach Schönheit, sondern nach Schuhgröße; es war ein Arbeitsgerät, um wieder die ersten Grundschritte zu lernen.
Im Krankenhaus hatten die Knochendocs so etwas wie einen Teststrecke aufgebaut: Steigungen, Treppen, weicher Teppichboden, Pflaster-, Sand- und Kieswege. Das ganze Programm, um Menschen wie Tino die Beherrschung einer Beinprothese zu ermöglichen. Später kamen Hütchenreihen dazu, die er wie ein Fußballer umdribbeln musste. Er übte mit einer Verbissenheit, die ich einerseits bewunderte, die mich andererseits aber auch mit Besorgnis erfüllte. Was, wenn er scheiterte? Zu dieser Zeit war nicht klar, ob sein Bein das alles mitmachen würde. Immer wieder stoppten Komplikationen sein Trainingsprogramm. Entzündungen und wund geriebene Stellen am Stumpf traten auf, Verletzungen, die lange Zeit brauchten, um zu verheilen und einen geduldigen Patienten – und das war Tino nicht.
Hoher Besuch im Krankenhaus
Eines Tages bekamen unsere beiden Männer Besuch vom damaligen neuen Verteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung, der sein Amt nur eine Woche nach dem
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