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Wofuer wir kaempfen

Wofuer wir kaempfen

Titel: Wofuer wir kaempfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tino Kaeßner , Antje Kaeßner
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das Mandat, in Grenznähe sichere Zonen für Tausende gepeinigter und verjagter Kosovo-Albaner zu schaffen, die mit ihren Familien und mit allem, was fahren konnte, auf der Flucht zur sicheren Grenze waren. Auf dem Weg dorthin wurden sie beschossen und ausgeplündert von der ehemals eigenen Armee und brutalen paramilitärischen Einheiten, die für ungeheure Gräueltaten verantwortlich waren. Ziel der Serben war die ethnische Säuberung des Kosovo. Die Soldaten sahen täglich in den Gesichtern
der Flüchtlinge, was sich jenseits der Grenze abspielen musste. Die Bundeswehr startete die größte Luftbrücke seit ihrem Bestehen und lieferte über den Flughafen im mazedonischen Skopje Tausende Tonnen Lebensmittel, Zelte, Decken und Medikamente zur Versorgung der Flüchtlingsströme in Albanien und Mazedonien. Über 80 000 Flüchtlinge waren bald in den geschützten Lagern wie in Kukes und Morina zu versorgen, Menschen, die mit wenig mehr, als sie am Leib hatten, oft binnen weniger Minuten vor anrückenden Marodeuren von Haus und Hof geflüchtet waren. Viele hatten traumatische Erlebnisse hinter sich, fast alle hatten Angehörige verloren, Familien waren zerrissen und ausgelöscht worden.
    Die Soldaten der Bundeswehr waren hier das erste Mal direkt mit den Auswirkungen des Krieges konfrontiert und bei allen hat das damals die Einstellung zu ihrem Auftrag und zu ihrem Land grundsätzlich positiv verändert. Die Menschen hier zu schützen und ihnen vielleicht eine Heimkehr in ihre Heimat zu ermöglichen, erschien ihnen als beste Motivation für den gefährlichen Einsatz.
    Der Blick in die Hölle
    Stefans Einheit war unter den Ersten, die in den Kosovo eingerückt sind. Als ihr Konvoi zum KFOR-Sammelplatz in Kukës fuhr, wurde hinter der Grenze noch geschossen; sie sahen die Leuchtspurmunition, hörten den Gefechtslärm, Explosionen und das Tok-Tok-Tok der schweren Maschinengewehre.
    Über den Morina-Pass ging es an frischen Massengräbern, MG-Stellungen und nicht geräumten Minenfeldern vorbei nach Prizren. Über diesen Pass, der damals nur aus einer Sandpiste bestand, würde in den folgenden Monaten in endlosen LKW-Kolonnen der deutsche Nachschub von Thessaloniki nach Prizren laufen.

    Bei Stefans Ankunft in Prizren wurde auch dort noch wild geschossen. Es gab kein Recht und kein Gesetz mehr, nur Gewalt – es herrschte Chaos im Land. Die Stadt war im Ausnahmezustand. Jeder hatte Waffen. Jeder schoss anscheinend auf jeden. Plünderungen und Brandschatzungen machten selbst vor den Kirchen und Moscheen nicht halt. Die Bevölkerung hat die Bundeswehrsoldaten mit Jubel und großen Hoffnungen begrüßt.
    Stefan und seine Kameraden waren in den ersten Monaten für die Aufrechterhaltung der militärischen Ordnung und Sicherheit zuständig. Sie haben in der Stadt zunächst ein Büro beschlagnahmt und eine Art Polizeistation aufgemacht. Binnen kürzester Zeit stand die ganze Straße voll mit Hunderten Menschen, die Hilfe gesucht haben oder etwas melden wollten: ein Toter in der Wohnung, Waffenfunde, Minen, Geiselnahmen und Plünderungen. Was dort tagtäglich über die Soldaten hereinbrach, überforderte sie nicht nur vom Arbeitsaufwand, sondern auch seelisch. Die Leute hatten Vertrauen in die Bundeswehr, sie war die letzte Hoffnung in ihrem Elend, Hoffnung auf eine Rückkehr in ein geordnetes Leben. Die Menschen hatten nur einen Wunsch: dass das Morden und Plündern endlich aufhört. Stefan hat seine Arbeit als Feldjäger bei der Bundeswehr niemals vorher so sinnvoll erlebt wie in diesen Monaten. Er hatte seinen Job immer gerne gemocht – doch von da an war er aus voller Überzeugung bei der Bundeswehr.
    Bei diesem Einsatz im Kosovo hat Stefan Dinge gesehen, auf die er nicht vorbereitet war. Szenen, die er bisher nur aus Kriegsfilmen gekannt hatte und über die er bis heute noch nicht reden möchte. Menschen, die halbverwest auf dem Waldboden liegen, zu zweit, in Dreiergruppen – noch in Straßenkleidung mit ein paar Habseligkeiten. Geschändete und geplünderte Leichen, daneben geleerte Brieftaschen, im Schmutz liegende Fotos aus glücklicheren Tagen. Hochzeitsfotos, Kinderfotos
von Menschen, die Träume hatten, Träume, die hier in dieser verwüsteten Landschaft gewaltsam beendet worden waren. Stefan und seine Kameraden sind durch menschenleere Dörfer gefahren, Kilometer um Kilometer keine Seele. Auf einem Hof zeigten ihnen die zurückgekehrten Bewohner einen Brunnen – er war voll mit Leichen. Brandgeruch lag noch in den

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