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Wofuer wir kaempfen

Wofuer wir kaempfen

Titel: Wofuer wir kaempfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tino Kaeßner , Antje Kaeßner
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Phase der Fremdheit und Niedergeschlagenheit, an der viele Familien in der Bundeswehr zerbrochen sind. Aber da hatte Vio schon gelernt, was es bedeutet, die Frau eines Bundeswehrsoldaten zu sein. Und beide konnten besser damit umgehen.

Von der DDR zur Bundeswehr – Antjes Geschichte
    Ich hätte es eigentlich wissen müssen, worauf ich mich einlasse, als ich mich in einen Soldaten verliebte – denn auch ich war Soldat im Auslandseinsatz. Ich habe vieles, was Tino in Afghanistan erlebt hat, auch mitgemacht. Aber alles der Reihe nach. Meine Mutter hat mich am 11.11.1977 zur Welt gebracht. In Dresden. Im tiefen »Tal der Ahnungslosen«, wie Spötter im Osten wie im Westen immer sagten, weil wir doch kein Westfernsehen empfangen konnten damals, vor dem Fall der Mauer. Bei der Wiedervereinigung war ich zwölf Jahre alt. Ich weiß noch, wie wir nach Berlin gefahren sind. Die ganze DDR war damals auf den Beinen Richtung Westen. Das Erste, was ich mir von den 100 D-Mark Begrüßungsgeld, das jeder erhielt, gekauft habe, war ein Walkman. Und das war’s dann für mich auch schon mit der Wende. Dass es das einschneidendste Erlebnis in meinem Leben war, die große Freiheit, das habe ich nicht empfunden. Ich war zu der Zeit zu jung, um eine Enge oder den Zwang des Systems zu spüren. Ich habe warme, tiefe Erinnerungen an meine Kindheit. Sicher lag das nicht an Erich und Margot Honecker – sondern vor allem an meinen Eltern und Großeltern. Mein Großvater war Berufssoldat bei der NVA, der Nationalen Volksarmee, musste aber aufgrund von Schuppenflechte aus dem Dienst ausscheiden. Er hat dann sein Studium nachgeholt. Ich bin gut behütet aufgewachsen und hatte eine superschöne Kindheit. Die Schule stand im Mittelpunkt des Alltagslebens. Nach der Schule wurden Hausaufgaben gemacht, danach hatten wir Freizeit bis zum Abendbrot. Im Sommer waren wir fast die ganze Zeit draußen und haben gespielt bis es dunkel wurde. Dann ab in die Badewanne. Eine Stulle zum Abendbrot, und Marsch ins Bett. Wir fühlten uns
damals frei, die Eltern konnten sich kaum um uns kümmern, weil beide arbeiten mussten. Wir Kinder haben sehr früh gelernt, selbstständig zu sein, zu kochen und unsere Sachen in Ordnung zu halten. Das wurde auch so von uns erwartet. Und ich habe Freiheit nie wieder so tief empfunden, wie nach so einem Sommertag abends ins Bett zu fallen und einzuschlafen, während meine Mutter noch in der Küche arbeitete.
    Die Kinder heute haben kaum noch Zeit für sich. Nach der Schule kommt die Nachhilfe, der Musikunterricht und dann meist noch Sport. Alles ist verplant, das Meiste wird von den Eltern vorgegeben. Wie sollen Kinder so lernen, sich Dinge selbst zu erarbeiten und dann stolz darauf zu sein? Inzwischen habe ich selbst eine Tochter, Hanna. Ich möchte sie so erziehen, wie meine Mutter Ilona mich erzogen hat, hart, aber sehr herzlich, mit großer Wärme und Anteilnahme.
    Als ich auf die Welt gekommen bin, haben meine Eltern noch bei den Großeltern gelebt – und zwar in einer Zweiraumwohnung. Heute kann man sich das gar nicht mehr vorstellen; vor allem kann man sich nicht vorstellen, dass es einfach schön war. Ich habe das nie als Enge empfunden, sondern als eine Nestwärme, die unsere Familie zusammengeschweißt hat.
    Die Wende habe ich als Zusammenbruch meiner friedlichen Kinderwelt erlebt. Plötzlich geriet alles, was so geordnet und berechenbar schien, ins Wanken. Die Möglichkeit, in den neuen Supermärkten plötzlich zwischen 49 Joghurtsorten wählen zu können, kann auch zu einer Belastung werden, wenn man damit nicht aufgewachsen ist. Unsere Familie wurde aus ihrer Kuschelecke herausgerissen und stand plötzlich im grellen Licht eines bisher nicht gekannten Kapitalismus.
    Meine Mutter arbeitete in einer Kinderkrippe der Stadt und wurde von heute auf morgen entlassen. Unsere Existenz schien bedroht, denn bei meinem Vater sah es auch nicht besser aus. Plötzlich war es vorbei mit unseren harmonischen Familienabenden,
und Angst und Sorge saßen mit am Tisch. Die Streitigkeiten mit der Stadtverwaltung setzten unserer Familie erheblich zu. Meine Mutter Ilona bekam nach vielen schlaflosen Nächten eine schwere Gürtelrose. Meine Familie konnte nun die teure Rechtsschutzversicherung sehr gut gebrauchen, die uns einer dieser neuen Versicherungsvertreter aufgeschwatzt hatte. Meine Mutter klagte gegen die Stadt Dresden und gewann. Sie bekam eine Aufgabe im Liegenschaftsamt der Stadt. Und da ließ man sie erst mal wochenlang ohne

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