Wofuer wir kaempfen
würden.
Ich habe mich wirklich gefragt, wie ich an Vios Stelle damit fertiggeworden wäre, und habe sie sehr bewundert, wie sie in dieser Situation Haltung bewahrt hat. Sie schien so stark und entschlossen, das Schicksal ihrer Familie offensiv anzugehen. Ich habe nie ein Wort der Anklage oder gar Selbstmitleid bei ihr erlebt. Aus irgendeiner Quelle schien ihr ständig Kraft zuzufließen. Zum einen waren das ihre Familie und die unglaublich vielen Freunde, die ihr schon auf der Fahrt von Murnau nach Koblenz im Minutentakt SMS auf SMS geschickt hatten. Stefan und Vio waren sehr stark mit der dörflichen Gemeinschaft von Garmisch-Partenkirchen verbunden. Die meisten Freunde kannten beide schon seit ihrer Schulzeit, es waren belastbare, gewachsene Beziehungen. Zum anderen waren da noch die vielen Vereine mit ihren starken Netzwerken, die helfen würden, wo es nur ging.
Die wichtigste Stütze für Vio aber waren ihre Söhne Robin und Henry, die eigentlich selbst am meisten Hilfe benötigen würden. Vio war fest entschlossen, jeden seelischen Schaden von den beiden abzuwehren und ihnen für das spätere Leben eine Haltung mitzugeben, die ihnen Kraft geben würde, mit jeder Art von Schwierigkeiten fertig zu werden. Diese Haltung hieß Zuversicht, Offenheit, Beteiligung. Sie wollte nichts schönreden und die Kinder frühzeitig auf alles vorbereiten, was noch kommen könnte.
Robin und Henry wussten zwar, dass ihrem Vater etwas passiert war – aber wie ernst es um sein Leben stand und dass beide Beine weg waren, hatte ihnen niemand gesagt. Am Morgen nach dem Hotelfrühstück hatte mich Vio auf die Seite genommen und mich gebeten, mit dabei zu sein, wenn sie ihren Kindern sagt, dass ihre Familie vor großen Veränderungen steht. Ich hatte Robin im Arm und Violetta Henry. So saßen wir da. Zwei Frauen. Zwei Kinder. Und unsichtbar anwesend im Raum zwei Männer, die schwer verletzt nach Hause gekommen waren. Ich hatte keine Kinder und war unsicher, wie viel Wahrheit man einem Neun- und einem Elfjährigen zumuten kann.
Violetta hatte sich entschlossen, offen und ehrlich mit ihren Kindern umzugehen und sie als Partner zu behandeln in einem Kampf, den die ganze Familie gemeinsam durchstehen musste. Sie sagte: »Dem Papa ist was passiert. Er schläft jetzt ganz tief, damit er wieder gesund wird.« Sie erzählte ihren Kindern alles, was sie wusste, über den Verlauf des Anschlags, auch, dass ihr Vater zwar beide Beine verloren hätte, sonst aber ganz der Papa bleiben würde, so wie sie ihn kennen, und dass er jetzt viel Hilfe brauchen würde. Henry und Robin haben natürlich gefragt, wer dem Papa so etwas Böses angetan habe. Wie erklärt man Kindern Krieg? Kindern, die im tiefen Frieden in einer der schönsten Gegenden Deutschlands in den bayerischen
Alpen aufgewachsen sind, in einer Gesellschaft, in der Gewalt strikt geächtet und tabuisiert wird. Das Thema Krieg und Auslandseinsätze hatte die Familie immer von den Kindern ferngehalten. Der Vater fuhr morgens in die Arbeit wie alle Väter – bloß, dass er eine Uniform anhatte. Jetzt war der Krieg in dieses heile bayerische Familienidyll mit aller Gewalt eingebrochen.
Ungeahnte Kräfte
Die Kinder waren erstaunlich gefasst. Ich habe die Vermutung, dass wir ihnen so aufgelöst und ernst erschienen sind, dass sie nicht auf die Idee gekommen sind zu weinen – selbst wenn ihnen danach gewesen wäre. Robin dachte deutlich sichtbar nach und fragte: »Dann kann der Papa ja gar nicht mehr Eishockey mit uns spielen!?« Draußen sein, Bewegung, zusammen Spaß haben, das alles sollte jetzt nicht mehr möglich sein? Für die Kinder tat sich mit einem Schlag ein großes Loch auf. »Ja, aber dafür kann der Papa ja was anderes mit euch machen!«, war mein etwas hilfloser Einwand, und ich suchte nach einem Ausweg aus unserer Ratlosigkeit. Genau in diesem Moment kam Vio und mir ein Zufall zu Hilfe, der wie vom Himmel geschickt schien: Einer der Feldjäger kam in den Raum mit einer Zeitung in der Hand, ging zu Robin und zeigte ihm das Foto eines Rollstuhlfahrers, der Golf spielte. Es war ein Artikel über Handicapsportler. Der Junge schaute sich das Bild an, dachte nach und sagte dann erleichtert: »Na, dann macht der Papa jetzt halt bei den Paralympics mit!« Robin hat da schon weit in die Zukunft geschaut – während wir noch ganz dem Moment verhaftet waren und gerade zu ermessen versuchten, welche Folgen die Verletzung haben würde. Er hatte eine Lösung gesehen – und das hat ihm
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