Wofuer wir kaempfen
Arbeit schmoren. Dann der nächste Schock: Es wurden Computer eingeführt, aber eine Schulung gab es nicht. Die notwendigen Computerkenntnisse musste sie sich selbst aneignen. Auch Ilonas alten Kindergarten wollte man plattmachen, aber die Eltern in der Nachbarschaft gründeten schnell einen Verein und betrieben den Kindergarten privat. Ilona übernahm die Buchhaltung. So wurde dieses kleine Paradies über die Wirren der Wendezeit hinübergerettet. Heute wird er wieder von der Stadt betrieben, als wäre nichts gewesen. Ein wunderschöner Kindergarten. Und wenn die Tochter meines Bruders so weit ist, wird sie dort in den Kindergarten gehen.
Nach meiner Schulzeit habe ich Zahnarzthelferin gelernt, bin aber nicht übernommen worden. Es gab plötzlich eine Ausbildungsförderung vom Staat – eben weil so viele Jugendliche nach einer Lehrstelle suchten –, und da hat der Zahnarzt gesagt: Dann stelle ich lieber einen neuen Lehrling ein und kassiere die Prämie. Und so stand ich genau wegen einer Fördermaßnahme, die Menschen zu einer Arbeit verhelfen sollte, das erste Mal auf der Straße. Wochenlang habe ich nach einer Anstellung gesucht über das Arbeitsamt. Ich habe gejobbt, geputzt, nur um beschäftigt zu sein und nicht den ganzen Tag zu Hause herumzusitzen. Es ist nicht schön, wenn man jung ist und gleich nach der Ausbildung vermittelt bekommt, dass man nicht gebraucht wird. Doch dann kam die Bundeswehr.
Durch Zufall zur Truppe
1997 hatte mein Vater, der als Taxifahrer arbeitete, Wind davon bekommen, dass im folgenden Jahr in der Dresdner Alberstadtkaserne die neue Offiziersschule des Heeres eröffnet werden sollte. Voller Begeisterung berichtete er mir davon und meinte, die würden doch auch medizinisches Personal brauchen und das wäre vielleicht meine Chance. Auch mein Großvater riet mir zu. Er war wie mein Vater auch Zeitsoldat und Offizier bei der NVA gewesen. Opa sagte immer wieder: »Die Bundeswehr, das hat Zukunft – überleg es dir gut. Solange es den Staat gibt, wird es auch eine Armee geben. Die können nicht pleitegehen.«
Ich bin aber nicht wegen der Familientradition zur Bundeswehr. Ich war wie elektrisiert von der Aussicht auf eine mögliche Anstellung, denn ich wollte unbedingt arbeiten. Alle Frauen, mit denen ich aufgewachsen bin, hatten immer gearbeitet. Wer nicht arbeitete, war schwanger, zu alt oder mit dem stimmte etwas nicht. So war das eben bei uns: Arbeiten und niemandem auf der Tasche liegen, selbst Geld haben, das bedeutet auch ein gutes Stück Unabhängigkeit.
Ich habe mir also meine Bewerbungsunterlagen geschnappt und bin los. Es sind manchmal die kleinen Fehler, die dem Leben eine ganz andere Richtung geben als geplant. Dieser Tag war so ein Schicksalstag: In der Eile habe ich die Offiziersschule, wo ich hinwollte, mit dem Kreiswehrersatzamt verwechselt, das am entgegengesetzten Ende der Stadt lag. Wo ich schon mal da war, bin ich ins Büro – und landete prompt bei einem Anwerber der Bundeswehr. Dem kam gar nicht in den Sinn, mich zivil einzustellen, sondern er fragte ohne große Einleitung: »Was halten Sie davon, sich als Zeitsoldat bei der Bundeswehr zu verpflichten?« Ich fand es spannend, dass da endlich jemand war, der mich wollte – nach den vielen Bewerbungsabsagen.
Schon der Anfangssold lag weit über dem, was ich als Zahnarzthelferin verdient hätte. Und dann war da natürlich die Aussicht auf einen sicheren Job. So dachte ich mir: Probier’s doch einfach mal!
Im Juni wurde ich nach Berlin zur Aufnahmeprüfung eingeladen. 25 Jungs und sechs oder sieben Mädchen waren angereist. Musterung, Intelligenztest, Allgemeinwissen, Mathematik wurden abgefragt, dazu die Sportprüfung. Am zweiten Tag kam noch ein Psychologe, der um fünf Ecken fragte. Einmal hat er auch direkt gefragt: »Würden Sie auch von der Schusswaffe Gebrauch machen in einem Konflikt, wenn es aus staatlicher Sicht erforderlich wäre?« »Wenn Soldat, dann mit allen Konsequenzen«, habe ich damals geantwortet. Das war tatsächlich meine Meinung. Außerdem hätte ich mich aus der Prüfung geschossen, wenn ich nein gesagt hätte. Dass wenig später tatsächlich der Ernstfall eintreten würde, daran habe ich im Traum nicht gedacht.
Von den 20 Jungs wurden nur sieben genommen und von den Mädels zwei. Eine davon war ich. Meine Zukunft schien zum ersten Mal wieder eine klare Richtung zu haben. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal zur Bundeswehr gehen würde, statt als Zahnarzthelferin zu arbeiten. Aber mit
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