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Wofuer wir kaempfen

Wofuer wir kaempfen

Titel: Wofuer wir kaempfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tino Kaeßner , Antje Kaeßner
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gedacht als an Sex. Vor allem an meine kalten Füße, wenn man morgens um 6 Uhr wieder geweckt wurde.
    Ende Januar schneite es heftig, als wir noch vor Tagesanbruch zu einem Orientierungsmarsch ins Gelände aufbrachen. Zehn Kilometer – keine große Distanz, aber es ging durch Schneeverwehungen und eisigen Wind. Die Männer im Zug boten mir mehrfach an, meinen Rucksack zu schleppen. Ich lehnte ab. Natürlich heißt Kameradschaft, dass man auch mal den Rucksack von jemand anderem trägt oder zulässt, dass einem geholfen wird, aber ich wollte nicht, dass mir die Jungs das abnehmen. Schließlich war ich der Überzeugung, dass ich mindestens so viel draufhatte wie die. Bei diesem Wintermarsch bin ich aber an meine Grenzen gekommen. Ich bin nur 161 Zentimeter groß und habe 58 Kilo gewogen, als ich mit der Ausbildung begann. Bei diesem Marsch vier Wochen später hatte ich nur noch 53 Kilo Gewicht. Und mein Rucksack wog 20 Kilo. Wir waren fix und fertig, als wir am Ende eines dieser trostlosen weiten Felder Niederbayerns endlich unseren Mannschaftsbus sahen. Die Aussicht auf warmen Tee, was zu essen und einen beheizten Innenraum. Als wir der Reihe nach über das Feld gingen, versank ich plötzlich in einem mit Schnee zugewehten Graben. Bis zu den Schultern steckte ich im Schnee und kämpfte, um mich aus diesem Loch zu befreien. In diesem Moment wollte ich mich einfach nur noch hinlegen und schlafen. Dann kamen die Kameraden und zogen mich raus. Sie wollten mir den Rucksack abnehmen und tragen, aber ich schrie sie an, dass sie mich in Ruhe lassen sollten und ich meine Ausrüstung selbst bis zum Schluss tragen würde. Ab da hatte ich im Zug meiner Kompanie den Ruf weg, äußerst zäh zu sein.

    Die Frauen nach mir haben es möglicherweise schon leichter gehabt. Der Frauenanteil bei den Zeit- und Berufssoldaten stieg kontinuierlich an. Einen weiblichen General aber gibt es meines Wissens bis heute nicht. Frauen waren sechs Jahre nach meiner Grundausbildung ein nicht mehr wegzudiskutierendes Faktum in der Truppe. 2005 leisteten schon 11 500 Frauen Dienst bei der Bundeswehr. Heute sind es bereits über 17 000 in allen Truppengattungen, sogar als Zeitsoldaten in der »kämpfenden Truppe«, was erst 2001 mit der sogenannten Kreil-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs juristisch erzwungen worden war.
    Damals hatte sich die Elektrotechnikerin Tanja Kreil unter Hinweis auf den Gleichheitsgrundsatz bei der Behandlung von Männern und Frauen ihre Einstellung als Zeitsoldatin in der Waffenelektronik erstritten. Der Dienst an der Waffe war Frauen nach dem Grundgesetz ursprünglich untersagt. Dort stand, dass Frauen »auf keinen Fall Dienst an der Waffe leisten« dürften. Tanja Kreil suchte 1996 keinen Streit, sondern einen Job, weil ihr die Karrierechancen als Frau in einem Ingenieurberuf nach der Ausbildung bei Siemens nicht gut schienen. Ihr Freund war Zeitsoldat, Richtladeschütze im Kampfpanzer Leopard 2 – das wollte sie auch und bewarb sich bei der elektronischen Waffeninstandsetzung für den Leopard 2. Doch das Kreiswehrersatzamt lehnte unter Hinweis auf das Grundgesetz und die Vorschriften der Bundeswehr ab. Tanja Kreil war empört und schrieb an den damaligen Verteidigungsminister – auch der lehnte ab. Daraufhin klagte sie wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes von Mann und Frau. Erst vier Jahre später, am 11. Januar 2000, entschied der Europäische Gerichtshof abschließend, dass die Bundeswehr Frauen zum Dienst an der Waffe zulassen muss. Nach diesem Urteil wurde sogar der betreffende Grundgesetzartikel umgeschrieben. Statt des generellen Verbots ist heute nur noch der Zwang
verboten, und so heißt es nun: »Frauen dürfen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden.« Zynische Juristen nannten das später »Gleichheit zum Tode«. Tanja Kreil hatte ihren Kampf gegen eine letzte Bastion der Männer gewonnen, aber – Ironie der Geschichte – sie hat ihren Job in der Bundeswehr nie angetreten, sondern blieb bei Siemens.
    Die Grundausbildung hat mich an meine physischen und psychischen Grenzen geführt. Ich habe gelernt, die Zähne zusammenzubeißen und alles durchzustehen. Später würde mir das noch sehr hilfreich sein, trotz aller Erschöpfung am Ende doch noch das letzte Quäntchen Kraft aktivieren zu können.
    Es ging schließlich auch um meine berufliche Zukunft – ein Scheitern hätte ich nicht so einfach wegstecken können. Außerdem hatte mich der Ehrgeiz gepackt.
    Meine Mutter Ilona

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