Wofuer wir kaempfen
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Die Entscheidung für so einen Auslandseinsatz setzt in der Bundeswehr ein unglaubliches Räderwerk der Bürokratie in Gang. Eine zentimeterdicke Checkliste ist akribisch abzuarbeiten: Anträge, medizinische Check-ups, Impfungen, Gesundheitszeugnisse, Ausbildungsbescheinigungen, Versicherungen, Daueraufträge für den Privathaushalt, Patientenverfügung … und eben die Erklärung, dass man ein Testament hinterlassen hat sowie einen Brief, der alles regelt für den Fall, dass man
über längere Zeit nicht mehr ansprechbar wäre. Und das dauert alles und kostet Nerven. Ich habe sehr schlecht geschlafen in diesen sechs Wochen vor meinem Einsatz.
Es war wie ein Abschied aus einem alten Leben; ich saß auf dem Bett in meinem einstigen Kinderzimmer in Dresden und erinnerte mich mit ein bisschen Wehmut, Freude, Rührung, Trauer oder auch Wut daran, wie ich hier gelebt, was ich hier erlebt hatte – und wie mich alles verändert hatte seit dem Tag, als ich in die Bundeswehr eingetreten und nach Bonn gezogen bin. Ich wusste, diese Tür würde ich mit Freude ins Schloss werfen und nie wieder zurückkommen. Bonn war Geschichte. Irgendwo hinter Bosnien lag meine Zukunft.
Jetzt stand ich endlich wieder vor neuen Herausforderungen: Bin ich den Belastungen des Auslandseinsatzes überhaupt gewachsen? Ich kannte inzwischen viele Geschichten über Beziehungen, die während der Auslandseinsätze gescheitert waren – nun, das würde mich nicht betreffen, dachte ich da noch, schließlich hatte ich keinen Freund. Und Kater Zwerg würde Urlaub bei meiner Mutter in Dresden machen – also kein Problem. Was mich mehr beschäftigte, waren die vielen beunruhigenden Nachrichten über psychische Probleme, die während oder nach so einem Einsatz bei fast allen Soldaten mehr oder minder heftig auftauchten. Kommt man damit klar, monatelang mit seinen Kameraden in einem Container auf engstem Raum zusammenzuleben? Kommt man damit klar, dass sich der Großteil des Lebens für vier Monate in einem von Stacheldraht umzäunten Lagerareal abspielen wird? Man kann in so einem Krisengebiet nicht einfach vor die Tür und in die Stadt zum Kaffeetrinken oder gar shoppen gehen. Der Auslandseinsatz erschien mir mehr und mehr als eine Prüfung, bei der ich wieder neue Seiten von mir kennenlernen würde. Ich habe das gesucht und gebraucht zu dieser Zeit. Ich wollte wissen: Packe ich das? Und packe ich überhaupt die Vorausbildung?
Denn die Trainingscamps für den Auslandseinsatz lagen noch vor mir. Hier erwartete die Soldaten ein Crashkurs über alles, was wissenswert und notwendig ist im Einsatzland: strategische Lage, Klima, Geografie, Sitten, Geschichte – und die einzelnen Volks- und Interessengruppen, die auf dem »Spielfeld« stehen.
Ich hatte Glück, dass ich so kurzfristig noch in einen dieser Kurse rutschen konnte. Zunächst, weil es sonst wohl nichts gewesen wäre mit dem Auslandseinsatz. Denn ohne Trainingsbescheinigung kein Abflug. Und dann war da noch etwas, was mein Leben völlig verändern sollte – Tino Käßner. Die nächsten Jahre würden uns beide durch Himmel und Hölle führen.
Von Karl-Marx-Stadt nach Kabul – Tinos Geschichte
Tino trat in mein Leben – und ich in seines –, als wir beide den Vorbereitungskurs für unsere Auslandseinsätze besuchten. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich nichts von ihm, und deshalb soll er hier in eigenen Worten erzählen, was vor unserer gemeinsamen Zeit war.
»Wie Antje wurde ich in der DDR geboren, am 24. April 1974 in Karl-Marx-Stadt – das heutige Chemnitz. Mein Vater war Elektriker und auch meine Mutter hat gearbeitet, als Verkäuferin. Als ich fünf war, sind wir in ein kleines Haus mit Garten am Stadtrand gezogen, nach Adelsberg. Von heute aus betrachtet wohnten wir bescheiden, aber für mich damals war es paradiesisch schön und ich war eigentlich immer draußen beim Spielen und Herumtollen.
Mein Vater hat als Elektriker in einer der größten Fabriken für Sondermaschinen und Elektromaschinenbau der DDR gearbeitet. Er war normaler Arbeiter, ich glaube, er war auch in der Partei – aber Politik hat in unserer Familie nie eine Rolle gespielt, sondern man hatte sich aus praktischen Gründen angepasst. So konnte ich zum Beispiel in das sommerliche Ferienlager für die Kinder des Betriebs, irgendwo in den endlosen Wäldern von Brandenburg in einem kleinen Dorf nördlich von Potsdam. Wir Kinder haben viel unternommen und viel Blödsinn gemacht. Harmlose Jugendstreiche, aber
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