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Wofuer wir kaempfen

Wofuer wir kaempfen

Titel: Wofuer wir kaempfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tino Kaeßner , Antje Kaeßner
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ethnischen Gruppen auf, mühsam unter Kontrolle gehalten von den SFOR-Truppen, die für die Einhaltung des Friedensvertrags von Dayton aus dem Jahr 1995 sorgen sollten. Am 11. Juli 1995 hatten die Serben beim Massaker von Srebrenica mehr als 7500 wehrlose muslimische Flüchtlinge und Soldaten getötet und in Massengräbern verscharrt. Eines der größten Kriegsverbrechen nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa und einer der bittersten Fehler der NATO, die dieses Verbrechen nicht verhindern konnte. Als Reaktion auf die hemmungslosen Gewalttaten der bosnischen Serben und ihrer Freischärlereinheiten hatten am 1. September 1995 zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkriegs deutsche Tornados aktiv in die Kampfhandlungen eingegriffen und Stellungen und Waffendepots der Serben bombardiert. Die Bundeswehr hatte damit ihren Status als reine Verteidigungsarmee abgelegt. Von nun an würde sie aktiv in Konflikte eingreifen – zum Schutz der Menschenrechte, aber auch zum Schutz der eigenen Bevölkerung, der nicht mehr allein auf die Landesgrenzen beschränkt sein würde. Das geschah unter deutlicher Zustimmung der deutschen Bevölkerung, des Deutschen Bundestags und quer durch alle Parteien.

    Eine Art schriftlicher Abschied
    Nun würde ich nach Bosnien gehen. Alle Soldaten im Auslandseinsatz sind angehalten, ihr Testament zu schreiben. Das Schlimmste daran war, meiner Mutter zu beichten, dass es jetzt ernst wird. Dass ihr das sehr nahe ging, zeigt sich am besten in ihren eigenen Worten: »Vor ihrem Einsatz sollte Antje noch einen Einweisungslehrgang besuchen. Wir hatten gar nicht mit ihr gerechnet, aber wir waren sehr froh, als sie am Wochenende davor überraschend zu Besuch nach Dresden kam. Sie wirkte bedrückt. Dass irgendetwas in der Luft lag, spürte ich sofort. Aber sie rückte den ganzen Samstag nicht raus damit, und ich dachte, lass sie mal kommen, das geht schon, wenn es soweit ist. Abends saß sie bei mir am Küchentisch und sagte plötzlich in ihrer direkten Art: ›Mama, es hilft ja jetzt nicht drumrumzureden: So schlimm, wie das ist, also, wir müssen jetzt mein Testament machen.‹ Dabei sah sie mich einfach nur mit großen, ruhigen Augen an. Meine Reaktion war so, wie eine Mutter reagiert, wenn ihr Kind sein Testament machen möchte, darüber kann ich gar nicht reden. Antjes Letzter Wille liegt heute noch in einer Mappe bei uns im Wohnzimmerschrank. Da steht mit schöner Mädchenschrift geschrieben: ›Ihr, Papa und Mama, seid meine Alleinerben im Fall meines Todes.‹ In diesem Moment ist mir zum allerersten Mal hundertprozentig bewusst geworden: Es könnte ja etwas schiefgehen! Und langsam, langsam sickerte es bei uns durch: Das ist diesmal ernst, keine Übung, wir könnten unser Kind auch verlieren. Ich spürte, ich könnte es nicht verkraften. Und wir dachten nur noch: Hoffentlich passiert nichts!«
     
    Kurzerhand hat meine Mutter mich dann zu unserem Versicherungsmenschen geschleppt. Wenn sie schon nicht mit nach Bosnien reisen und mich beschützen konnte, wollte sie mir
doch wenigstens eine Art schriftliche kugelsichere Weste mit allen nur möglichen Versicherungen anlegen. Lebensversicherung, Unfallversicherung, Krankentagegeldversicherung, Bundeswehrzusatzversicherung, Berufsunfähigkeitsversicherung – alles, was irgendwie ging. Wir haben uns auf alles vorbereitet. Zu diesen Vorbereitungen für den Einsatz gehörte auch die Patientenverfügung – was soll geschehen, wenn ich verletzt werde und nicht mehr Herr meiner Sinne bin? Soll ich meine Organe spenden? Es war ein sehr seltsames Gefühl, sein Testament zu schreiben. In dem Alter besitzt man ja eigentlich noch nicht wirklich was, das man im Testament zu verteilen hätte. Aber man hat seine Geschichte, die Menschen, die man kennt und liebt. Das ist das Vermächtnis. Es ist irre, was einem da alles durch den Kopf geht, an wen man plötzlich wieder denkt – wem man noch was sagen oder wen man noch einmal in die Arme schließen will.
    So also ist das beim Testamentschreiben. Das ist eine Übung, die ich nur jedem empfehlen kann. Denn ein Testament schreiben bedeutet Abschied nehmen. Unwiderruflich von allem, was man kennt, liebt oder hasst. Da fällt eine Tür zu, die man nicht wieder öffnen kann. Und mit diesem Gedanken wird plötzlich jede Sekunde, die bleibt, sehr, sehr kostbar. Plötzlich merkt man, wie schön und spannend das Leben doch eigentlich ist – und wie unwichtig die ganzen Probleme, die manchmal so übermächtig erscheinen und

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