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Wofuer wir kaempfen

Wofuer wir kaempfen

Titel: Wofuer wir kaempfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tino Kaeßner , Antje Kaeßner
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Vielleicht liegt hier auch der Schlüssel zu meinem heutigen Umgang mit meiner Verletzung: Ich kann nicht ändern, dass mir das Bein fehlt. Mit meinem Schicksal zu hadern, das würde mich überhaupt nicht weiterbringen, sondern nur lähmen. Also arrangiere ich mich nicht nur mit der Situation, sondern versuche ständig, das Beste daraus zu machen, alles zu optimieren und so ein Manko in ein Plus umzuwandeln.«
    Die Wende – eine neue Zeit beginnt
    Tino schwärmte wie ich von der schönen Kindheit, die er in der DDR erlebt hatte, von der Wärme und dem Zusammengehörigkeitsgefühl, das uns großes Vertrauen und Unbeschwertheit bescherte. Er war älter als ich und nahm die Wende bewusster wahr, wenn er auch nicht begeisterter war als ich, wie er mir mal erzählte: »Als die Wende kam, war ich 15. Am späten Abend des 9. November 1989 wurden die Grenzen der DDR geöffnet, und alles war plötzlich von dieser Begeisterung erfasst, überall Jubel, alle waren unterwegs in den Westen. Mir war dieser ganze Trubel seltsam fremd. Ich sagte mir: ›Na schön, warten wir mal ab, was da kommt.‹
    Meine Eltern haben am nächsten Morgen gemeint: ›So, jetzt fahren wir auch mal rüber nach Hof.‹ Wir standen im historischen Megastau hupender Trabbis und Wolgas, der nach meiner Erinnerung bereits hinter dem Ortsschild von Karl-Marx-Stadt begann und durchgehend bis nach Hof reichte. Es war eine lange und nervende Fahrt von der DDR in die BRD, ich hinten eingeklemmt mit meiner Schwester Heike auf der Rückbank eines Trabbis. Noch heute messe ich jeden Stau an
dieser Albtraumfahrt von Chemnitz nach Hof. Ich war völlig ernüchtert, als es über die Grenze ging. Die Dörfer sahen auch nicht viel anders aus als bei uns, und ich war froh, als wir nach einer erneuten langen Fahrt im großen Stau spätabends wieder zu Hause waren.
    Was damals wirklich passiert ist, diese historische Dimension, das habe ich zu der Zeit nicht gefühlt und nicht verstanden, aber dass sich große Veränderungen anbahnen, habe ich gemerkt. Überall gab es das deutliche Bröckeln der staatlichen Macht. Bei uns in der Nähe lag ein geheimnisumwittertes Stasigelände; keiner wusste genau, was hinter dem Stacheldrahtzaun ablief. Am Tag der Wende war das Gelände plötzlich offen, die Wachposten waren verschwunden. Bürgerrechtler hatten schon die Anlage durchsucht und Papiere gesichert. Ich habe mich mit ein paar Kumpels getroffen, und dann sind wir wie magisch angezogen vom Hauch des Verbotenen immer tiefer in die Bunker hineingestiegen. Drei, vier Stockwerke ging es unter die Erde. Überall aufgerissene Schaltschränke mit Telefonkabeln und Abhöreinrichtungen. In den Räumen sah es so aus, als wären die Stasileute erst vor wenigen Minuten aufgebrochen – auf einem Tisch fand sich sogar noch eine angebissene Stulle. Das war für mich der spannendste Moment der Wende.
    Die Wende war für viele Menschen in der damaligen DDR ein Schock – vor allem, nachdem die Begeisterung wieder dem Alltag gewichen war und wir sehen mussten, wie wir klarkommen mit all den Neuerungen, die für Westdeutschland völlig selbstverständlich waren.
    Für mich bedeutete die Wende vor allem einen Blick in den Abgrund von Arbeitslosigkeit und die Angst vor Verarmung und einer ungewissen Zukunft. Wir mussten Kapitalismus und Marktwirtschaft erst verstehen lernen. Und das war oft sehr schmerzhaft. Es kamen harte Jahre, die mich sehr geprägt haben.
Ich begann eine Lehre als Gas-Wasser-Installateur, denn es gab viel zu bauen und zu renovieren im Osten, und so hatte ich mir mit diesem Beruf gute Chancen ausgerechnet. Aber das war ein Irrtum. Die Nachwendezeit war chaotisch und das Berufsleben aggressiv. Meine wechselnden Arbeitgeber gingen pleite, weil Auftraggeber nicht zahlten oder Geld und Baumaterial einfach verschwunden waren. Es war ein ständiger Kampf um ausstehenden Lohn und immer wieder die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz. Dieser dauernde Wechsel und nicht zu wissen, was morgen ist, das ging selbst mir an die Nerven. Aber ich habe gesagt, gut, es ist jetzt so – aber ich lass mich nicht verheizen in diesen Verhältnissen. Manche meiner Kollegen haben stark unter diesen Verhältnissen gelitten, hatten dauernd Angst, ihren Job zu verlieren, und trauten sich kaum, Pause zu machen. Mir machte das zum Glück weniger aus, ich konnte wie schon zu meiner Schulzeit abschalten; ich habe gut und schnell gearbeitet, mich aber nie unter Druck setzen lassen. Es war mir immer wichtig, mich

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