Wofuer wir kaempfen
Einsatz-Jetlag – sie finden nur schwer zurück in ihren alten Lebensrhythmus. Oft leiden sie unter Schlafstörungen bei gleichzeitiger Müdigkeit, Antriebslosigkeit und verspüren eine innere Leere. Nach dem Adrenalin im Einsatzgebiet kommt der totale Entzug. Man ist wieder Teil der Masse, bedeutungslos, und fühlt sich einsam. Die Kameraden, die man monatelang jeden Tag gesehen hat, fehlen plötzlich und man ist allein mit seinen Erlebnissen, mit denen hier in Deutschland keiner was anfangen kann. Die Freunde zu Hause in Deutschland interessieren sich nicht für das, was man erlebt hat. Mir ging das ähnlich nach meiner Rückkehr in die ruhige Bonner Wohnung. Ich hatte richtig Heimweh nach den Kameraden in Bosnien. Das wurde mir schlagartig klar, als ich nach meinem Einsatz zum ersten Mal wieder allein in meiner ruhigen Landwohnung im Bett lag. Frisch duftende Bettwäsche, Licht aus und schöne Träume. Nichts da. Rechtsherum wälzen. Linksherum wälzen. Kopf ins Kissen. Licht anmachen, auf den Wecker schauen, wie spät es ist. Licht aus. Und dann wieder der Schlaflosgrill und eine Drehung nach der anderen.
Auslandseinsätze hinterlassen tiefe Spuren. Wer da keinen stabilen Freundeskreis hat, bekommt automatisch Probleme, hier in Deutschland wieder klarzukommen. Man geht mit diesen Problemen nur in den seltensten Fällen zum Vorgesetzten. Schließlich will man nicht als Weichei dastehen oder gar eine Beschränkung der Verwendungsfähigkeit in seine Personalakte bekommen. Psychische Probleme? Das macht der Soldat
schön mit sich alleine aus. Mancher Heimkehrer hat sich mit Alkohol betäubt. Es gibt nicht wenige Soldaten, die schnell zugesehen haben, dass sie in den nächsten Einsatz kommen. Bei Tino habe ich diese Probleme nie beobachtet.
Tino ist ein Phänomen, weil er schon immer komplett abschalten konnte, wenn er vom Dienst aus der Kaserne kam und seine Uniform ausgezogen hatte. Da blieb nichts haften, was er in seine Freizeit mitgenommen hätte. Er sagte immer, das sei seit seiner Schule so gewesen, dass er Probleme nie mit sich herumgeschleppt hat. Alles, was anderen Stress macht, scheint ihn nicht zu interessieren. Ich weiß bis heute nicht, wie er das macht – ich bin aber ganz sicher, dass ihm diese Eigenschaft nach dem Anschlag sein Leben gerettet hat, weil er nach vorne schauen konnte und ganz schnell entschlossen war, sich durch den Verlust seines Beins nicht aus der Bahn werfen zu lassen. Auf der langen Autofahrt nach dem ersten Einsatz habe ich Tino nicht bedrängt und nach seinen Erlebnissen gefragt. Irgendwie, so schien es mir, war er auch noch nicht ganz angekommen.
Seine Mutter hatte ihm für Heiligabend sein Lieblingsgericht versprochen – Hase mit Rotkohl. Wir haben uns mit den Eltern Fotos angeschaut, die Tino in Afghanistan gemacht hatte, aber was er erzählte, ging nie in die Tiefe, so, als wäre er gar nicht selbst dort gewesen. Überhaupt schien er keinen Stress zu haben mit dem Nachhausekommen. Jedenfalls nichts Sichtbares – denn nach drei Monaten in Afghanistan bekam Tino ausgerechnet im hygienisch sauberen Deutschland einen heftigen Magen-Darm-Infekt, vielleicht eine Reaktion seines Körpers auf den vorangegangenen Stress und das üppige deutsche Essen. Tino ging es richtig schlecht. So verbrachte Tino das Weihnachtsfest im Bett mit Zwieback und Wärmflasche statt Hasenbraten, und ich saß ohne Tino traurig bei meinen Eltern in Dresden.
Eine kurze kurze Übernachtung in Bonn, eine Autonacht im Schneesturm und tausend Kilometer auf der Autobahn – das war mein Weihnachten 2003 mit Tino – unser Wiedersehen nach vier Monaten Auslandseinsatz.
Nach seinem ersten Einsatz ging das normale Leben weiter, für Tino in seiner Murnauer Feldjägerkaserne und für mich in Bonn. Wir haben eine Wochenendbeziehung geführt und uns nur alle 14 Tage gesehen. Dazu mussten wir unsere Dienstpläne aufeinander abstimmen. Wer die Bürokratie in der Bundeswehr kennt weiß, dass man da lange vorplanen muss. Es war eine Zeit des Umbruchs und ich hatte den Wunsch nach Veränderung. Mir war klar geworden, dass ich meine Zeit bei der Bundeswehr beenden musste, und so habe ich mich auf gut Glück in München für eine Ausbildung als Mediengestalter beworben. Ich dachte, wenn ich die Stelle bekäme, wäre das ein gutes Zeichen für einen Umzug nach Bayern. Ich bekam die Stelle auf Anhieb. Und so habe ich Ende September 2004 meinen aktiven Dienst als Zeitsoldat bei der Bundeswehr beendet und bin zu Tino
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