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untergebracht. Der eine war im Fußraum des Beifahrers mit einer Sprengstoffmenge von zehn Kilo TNT-Äquivalent deponiert. Der zweite Sprengsatz im Kofferraum des Autos kam nicht zur Zündung, weil er beim ersten Rammversuch gegen den Wagen der Personenschützer auf die Straße geschleudert wurde und nahezu unversehrt erhalten blieb.
Wie Sprengstoffexperten dokumentierten, bestanden beide Sprengsätze nach landesüblicher Bauart aus einem Schnellkochtopf, der mit einer Plastiktüte mit weißem Composition-B-Sprengstoff gefüllt war – eine militärische Sprengstoffart, hergestellt aus einem Hexogen- und TNT-Gemisch, ein hochbrisanter, giftiger Militärsprengstoff, der seit dem Zweiten Weltkrieg in großen Mengen hergestellt wird. Die Bombe wurde mit einem einfachen elektrischen Kontaktzünder vom Fahrer selbst zur Explosion gebracht. Einfache Bauteile, nichts Aufwändiges, sehr billig herzustellen. Keine Spuren. Die Detonationskraft war derart stark gewesen, dass am Explosionsort in der harten Straßendecke ein Krater zurückblieb, der etwa einen Meter lang, 70 Zentimeter breit und über zehn Zentimeter tief war. Die Wirkung des Sprengstoffs hatte das Täterfahrzeug vollständig zerstört und schwere Schäden am Bundeswehrfahrzeug hinterlassen.
Der Wagen des Attentäters war ein Rechtslenkerfahrzeug, wie er unter anderem im britischen Linksverkehr üblich ist. Daher wurde Tinos Auto auch an der rechten hinteren Beifahrerseite am stärksten beschädigt.
An persönlichen Gegenständen wurde in dem Trümmerfeld rund um den zerstörten Wagen nichts gefunden, was die Ermittler auf eine neue Spur geführt hätte, keine Personalpapiere, Fotos oder Ähnliches. Am Tatort fanden sie jedoch einen abgerissenen Unterschenkel, dessen Fuß noch in einem Schuh steckte und zweifelsfrei dem Attentäter gehört hatte. Das Bein
steckte in einer Prothese. Nach dem Gutachten deutscher Orthopädieexperten entsprach sie von der Fertigungsqualität her durchaus westeuropäischen Standards. Eine Maßanfertigung für den Fuß des Attentäters war durchgeführt worden, und daher war die Prothese eine vielversprechende Spur. Würde man die Orthopädiewerkstatt finden, hätten die Ermittler Zugriff auf Fertigungsunterlagen und schnell den Namen des Attentäters herausgefunden sowie Zugang zu seinem Umfeld erhalten. Die Fahnder waren sicher, so an die Identität des Attentäters kommen zu können. Es war die einzige wirklich heiße Spur. Doch sie mussten bald feststellen, dass es weder in Afghanistan noch in Pakistan Orthopädiewerkstätten gab, die derart hochwertige Prothesen herstellen konnten. Weil sich keine weiteren Anhaltspunkte ergaben, verliefen die Ermittlungen im Sand. Das Skurrile an der Geschichte: Nach den Ergebnissen der Obduktion muss der Attentäter selbst in frühen Jahren Opfer einer Minenexplosion gewesen sein. Damals wurde ihm ein Teil des Beins amputiert – es war der rechte Fuß, wie bei Tino.
Das Bild vom Täter
Und so hat der Täter keine Spuren hinterlassen. Menschen, die Tino und mich nicht näher kennen, fragen uns manchmal: »Was denkt ihr über den Täter? Ihr müsst den doch hassen für das, was er euch angetan hat? Fragst du dich nicht manchmal, was einen Menschen antreibt, sich selbst in die Luft zu sprengen, um andere zu töten?«
Diese Menschen glauben uns nicht, wenn wir beide, ganz unabhängig voneinander, antworten, dass der Attentäter in unseren Gedanken gar nicht vorkommt. Wir räumen ihm einfach keinen Platz ein, denn jede Beschäftigung mit seiner Welt würde bedeuten, dass er erreicht hat, was er wollte: unsere Gedanken, unser Leben mit seinen wirren Ideen zu besetzen.
Wenige Tage nach Tinos Erwachen aus dem Koma kam im Auftrag des Bundeskriminalamts ein Zeichner an sein Krankenbett, um nach Tinos Angaben ein Phantombild des Täters anzufertigen. Er war der Einzige, der das Gesicht des Täters beschreiben konnte – Armin Franz war tot, und bei Stefan hatten der Schock und der hohe Blutverlust die Erinnerungen aus dem Kurzzeitgedächtnis gelöscht. Das Aussehen des Attentäters hatte sich tief in Tinos Gedächtnis eingebrannt. Seine Beschreibungen müssen sehr treffend und vom Zeichner perfekt umgesetzt worden sein. Mit dem Phantombild wurden Zeugen in Kabul vernommen, denen das Gesicht bekannt vorkam. Der Täter wird auf circa 40 Jahre geschätzt, dunkle Hautfarbe, dunkler Bart. Ein Zeuge behauptete, aufgrund der sehr dunklen Hautfarbe sei es eher ein Pakistani gewesen – aber das ist
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