Wofuer wir kaempfen
sie gab es nur ein Thema: Tino und Stefan. Wie geht es ihnen? Wie sehen die Verletzten aus? Brauchen sie jetzt einen Rollstuhl? Genesungsbilder für Tino und Stefan wurden gemalt, und in
manchen ›schlaflosen‹ Nächten mussten selbst meine Kinder getröstet werden. Ich hatte zum Glück meine Frau an meiner Seite, mit der ich sehr intensiv über alles sprechen konnte. Ich kenne meine Frau seit 25 Jahren – 20 Jahre davon sind wir verheiratet, und bei uns ist die Liebe noch so stark wie am ersten Tag. Wir erzählen und hören uns stundenlang zu und führen eine super Ehe. Ich habe ihr sehr viel erzählt, sie war eine echte Stütze und tageweise in der Kaserne mit unseren Soldatinnen zusammen. Ich hatte damals sieben Soldatinnen in meiner Kompanie und dachte, dass es für sie bestimmt leichter wäre, bei einer Frau ihr Herz ausschütten und weinen zu können als bei einem Mann, der dann doch irgendwie der Vorgesetzte bleibt.
Im Nachhinein hat sich bewiesen, dass die Sorge um die Moral unserer Kompanie gegenstandslos war. Die Soldaten hatten im Gegenteil gemerkt, dass sie wirklich zu einer Einheit gehören – nicht nur militärisch, sondern auch menschlich. Ich habe das erste Mal in aller Tiefe erlebt, was Kameradschaft bedeuten und auslösen kann. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass das einzig Richtige in dieser Situation ist, für alle Gespräche ganz offen zu sein und vor allem alle möglichst umfassend und offen zu informieren. Ich glaube, dass jeder hier noch einmal sehr intensiv auf die Frage zurückgeworfen wurde, warum er seinen Dienst in der Bundeswehr leistet. Viele sind durch die Ereignisse an einen Punkt gekommen, an dem sie noch einmal prüfen konnten, ob sie ihren Dienst aus Überzeugung leisten. Diese Frage konnten die allermeisten mit Ja beantworten. Im Nachhinein hat keiner der Soldaten den Dienst quittiert, und auch jetzt sind wieder einige Kameraden in Afghanistan im Einsatz. Der Attentäter, der mit seiner Bombe töten, zerstören und Unruhe in Deutschland auslösen wollte, hatte bei uns in der Kompanie sein Ziel verfehlt. Wir waren damals bereit, alles zu tun, dass Tino und Stefan das später auch von sich sagen könnten.
Was hat sich für mein eigenes Leben geändert? Wenn ich heute immer häufiger Nachrichten von verletzten oder sterbenden Soldaten höre, dann geht mir das ganz schön unter die Haut. Blitzartig ist das Gefühl wieder da und eine Art Beklemmung steigt in mir auf, wenn es schlimme Gewissheit wird, dass wie bei uns damals Kameraden, Angehörige sowie Verwandte trauern und für ihren Sohn, Bruder, Enkel, Tochter oder Mann oder Frau im Einsatz beten. Ich merke, dass ich die Ereignisse von damals noch nicht vollständig verarbeitet habe. Während der ganzen Zeit von der Nachricht über den Anschlag bis zur Entlassung der beiden aus dem Krankenhaus war ich sehr intensiv mit allem beschäftigt. Gespräche mit Angehörigen, Anträge an die Bundeswehrverwaltung – ganz besonders intensiv aber mit den Reaktionen der anderen Kameraden. Man hat ja stundenlang zugehört; ich wollte das rausziehen aus den Männern, damit sie wieder den Kopf frei bekommen. Da hatte ich mir selbst ein bisschen die Funktion eines Müllschluckers zugedacht, der alle Probleme aufnimmt – ohne aber selbst die Möglichkeit zu haben, das irgendwo wieder zu entsorgen und abzustreifen. Ich bin noch heute nicht fertig damit und voll mit diesen Ereignissen.
2005 hat noch keiner vom einem ›Krieg in Afghanistan‹ geredet. In dieser Zeit der großen Anteilnahme für zwei Kameraden, die schwerstverletzt im Krankenhaus lagen, weil sie – geschickt von unseren Politikern – für unser Land ihren Dienst geleistet haben, gab es in den deutschen Medien nur zwei Themen, die tagelang Schlagzeilen machten: Das erste war der Wechsel von Michael Ballack, der seine Karriere 1988 vor der Wende beim FC-Karl-Marxstadt in Tinos Heimatstadt Chemnitz begonnen hatte, für ein jährliches Einkommen von 6,75 Millionen Euro zum FC-Chelsea nach England. Und das zweite Thema war Dieter Bohlen und die neueste Staffel von Deutschland sucht den Superstar . Im Gegensatz dazu fanden
der tote Bundeswehrsoldat Armin Franz sowie meine verletzten Jungs in der deutschen Öffentlichkeit kaum Aufmerksamkeit. Irgendwie hätte ich mir, genau wie meine Kameraden, in dieser Zeit von der Öffentlichkeit mehr Zuspruch und Hilfe erwartet. Vielleicht liegt das fehlende Interesse an der Arbeit der Bundeswehr daran, dass ein kleiner Junge in
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