Wofuer wir kaempfen
im Auto hatten, gab natürlich Anlass zu Spekulationen.
Am Samstag saßen wir dann beim Kommandeur im Büro und sind alles noch mal durchgegangen. Stefan hat dem Kommandeur gesagt, dass ihm die Sache nicht gefalle. Der nächtliche Vorfall habe den Eindruck erweckt, als habe der Fahrer uns austesten wollen, unsere Strategie, solche Bedrohungen zu neutralisieren, unsere Reaktionsfähigkeit, unser fahrerisches Können. Hatten wir alles richtig gemacht? Unsere Kernaufgabe war, unseren VIP sicher aus einer Gefahrensituation zu bringen. Der General war gut im Lager angelangt und hatte sich, wie er sagte, in jeder Minute sicher gefühlt bei uns, was ein großes Lob war. Wir hatten umsichtig reagiert, waren keine
unnötigen Risiken eingegangen, und damit war der Auftrag erfolgreich erledigt. Wir dachten an diesem Abend noch lange über weitere Konsequenzen zur Sicherung vor solchen Zwischenfällen nach. Das Hinzuziehen weiterer Fahrzeuge bei VIP-Fahrten schien uns geboten. Zukünftig wollten wir weitere Backupfahrzeuge abseits der Kolonne in Bereitschaft halten, die bei solchen Zwischenfällen verdächtige Fahrzeuge abfangen, stellen und den Fahrer gegebenenfalls kampfunfähig machen sollten.
Wir gaben einen Bericht ab, und das Ganze geriet in Vergessenheit – es standen die nächsten Termine an. So beunruhigend alles auch gewesen war, es trat in den Hintergrund. Man verdrängt es, beschwichtigt, vielleicht war es wirklich nur ein Verrückter gewesen, ein Fahrer unter Drogeneinfluss, was häufiger vorkam. Vielleicht war es auch nur der angekratzte Stolz eines Stammeskriegers, der sich in seiner Ehre verletzt gefühlt hatte, weil er nicht an uns vorbeifahren durfte. Auch wenn uns der Zwischenfall beunruhigt hatte, war es doch etwas, womit man zu rechnen hatte. Natürlich gaben wir eine Beschreibung des Fahrers durch: dunkle Augen, Bart, schwarze Kopfbedeckung – das ist die Standardbeschreibung für alle Taliban und trifft auch auf ungefähr 99 Prozent der friedlich lebenden männlichen Bevölkerung Afghanistans zu. Es war genau das Täterbild, das ich drei Tage später mit dem Selbstmordattentäter vor mir hatte, kurz bevor er die Bombe zündete.«
Am Montag, als der Termin des Fußballturniers in der Amani-Schule anstand, hatte sich schon wieder alles beruhigt und keiner der Feldjäger dachte mehr an den Zwischenfall. Als der Anschlag kam, waren Tino, Stefan und Armin Franz allein unterwegs in einem Fahrzeug ohne Begleitschutz.
Kurz nach dem Anschlag traf ein gemailtes und ein schriftliches Bekennerschreiben vom Sprecher der Taliban bei verschiedenen Medien ein. Die Quelle ließ sich nicht ermitteln.
Spurensuche in Kabul
Wer also war der Attentäter? War es der Mann, der bereits am Freitagabend versucht hatte, die Formation von Tinos Feldjägerkonvoi aufzubrechen? War der deutsche ISAF-Kommandant sein Ziel? Das Team der Spurensicherung des Bundeskriminalamts in Wiesbaden übernahm die Tatortarbeit, die Zeugenbefragung, die kriminaltechnische Untersuchung – und die Leichenteile wurden im Zuge der Todesermittlungen obduziert, weil man versuchte, Rückschlüsse über die Wirkung des – wie es heißt – Tötungsmittels zu ziehen.
Der Mörder hat den Ermittlern, die schon am Mittwoch den Tatort untersuchten, nur wenige Spuren hinterlassen. Sein Körper wurde bei der Explosion völlig zerrissen, von seinem Gesicht und vom Schädel fanden sich am Tatort nur noch Fragmente – keine verwertbaren Körperkonturen, wie das in der Sprache der Ermittler genannt wird.
Die einzige nachverfolgbare Spur war das von der Explosion völlig zertrümmerte Auto. Anhand der Fahrzeugnummer im Motorblock wurde festgestellt, dass der Wagen ein dunkler Toyota Corolla war, der 1992 in Japan ausgeliefert und dort zugelassen wurde. Zwei Jahre später meldete der Halter ihn wieder ab. Das Auto wurde von Japan in die Arabischen Emirate exportiert und soll dort an einen pakistanischen Autohändler im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet verkauft worden sein. Wie die Fahnder vermuteten, haben Zwischenhändler den Toyota dann in seine Einzelteile zerlegt und durch den Iran über die unwegsame Grenzregion mit Eseln nach Afghanistan geschmuggelt. Daher gab es auch keine Zollbescheinigungen, die man hätte zurückverfolgen können. Ab diesem Zeitpunkt, irgendwann in Jahr 1995, verliert sich die Spur des Autos. Am Morgen des 14. November 2005 taucht es wieder in Kabul auf – voll beladen mit Sprengstoff. Im Täterfahrzeug
waren zwei Sprengsätze
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