Wofuer wir kaempfen
Plan ist nur deshalb nicht aufgegangen, weil der Anschlag auf ihren Wagen praktisch direkt vor dem Haupteingang des amerikanischen Camps erfolgte und die Rettungseinheiten nur wenige Meter zu den Verletzten zurückzulegen hatten. Offenbar hatten die Terroristen das Ziel,
Kabuls wichtigste Verbindungsstrecke lahmzulegen und damit allen zu zeigen, dass sie selbst im Zentrum der Macht unter den Augen der ISAF-Kräfte ungehindert Schaden anrichten können.
Die ISAF-Kräfte waren entsprechend nervös, weil weitere Anschläge zu befürchten waren. Als ein Wagen mit einem jungen Afghanen am Steuer die Haltebefehle der Soldaten ignorierte und trotz Warnschüssen mit unvermindertem Tempo auf die Absperrungen am Anschlagsort zufuhr, eröffnen die Soldaten das Feuer. Der Fahrer starb im Kugelhagel. Der Bereich um das Auto mit der Leiche wurde weiträumig abgesperrt, weil die Soldaten die Fernzündung einer Autobombe nicht ausschließen konnten. Ein beliebter Trick, der im Irak schon Tausende das Leben gekostet hat: Die herbeiströmenden Neugierigen und Sicherheitskräfte werden in die Luft gesprengt, wenn sie nahe genug am Auto sind. Erst später stellte sich heraus, dass der Fahrer nur Haschisch geraucht und im Rausch die Warnsignale vermutlich nicht wahrgenommen hatte – er war gerade 18 Jahre alt.
Wenig später ging die Meldung über den Anschlag, der Armin Franz das Leben gekostet hat, beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe ein. Immer, wenn deutsche Staatsbürger Opfer von Anschlägen im In- und Ausland werden und die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland bedroht scheint, übernimmt der Generalbundesanwalt die Ermittlungen. Die Bundesanwaltschaft ist auf dem Gebiet des Staatsschutzes die oberste Strafverfolgungsbehörde. Sie residiert in einem hermetisch abgeschirmten Verwaltungskomplex in Karlsruhe, der von schwer bewaffnetem Personal bewacht wird. Der Generalbundesanwalt, seine Bundesanwälte, Oberstaatsanwälte und Staatsanwälte sind Beamte auf Lebenszeit. Viele Täter bringen sie zur Strecke durch etwas, was andere nicht haben: Zeit und Geduld. Ihre Waffen gegen die Bomben
der Taliban sind Fahndung, Vernehmung, Hausdurchsuchung, Vorladung und meterweise Aktenschränke – ihre Armeen sind die Ermittler des Bundeskriminalamts und der Landeskriminalämter, die ausschwärmen, wenn es die Bundesanwaltschaft für notwendig hält. Das Bundeskriminalamt – kurz BKA – ist nach den Finanzämtern eine der mächtigsten Behörden Deutschlands.
Die Ermittlungen sind gesetzlich vorgeschrieben bei Attentaten von Terroristen auf deutsche Staatsbürger. In der Bundesanwaltschaft wird derzeit in 100 offenen Fällen ermittelt – allein im vergangenen Jahr kamen 80 neue Fälle dazu. Und das betrifft nur Afghanistan. In keinem einzigen dieser Verfahren wurde bisher ein Täter vor ein deutsches Gericht gestellt.
Das Attentat auf Tinos Wagen im November 2005 war ein Ausnahmefall. Bei Sprengfallen in den ländlichen Teilen Afghanistans ergeben sich fast nie Ermittlungsansätze. Meist kommen und verschwinden die Täter unbemerkt in der Nacht und es gibt keine Zeugen. Dieser Anschlag aber geschah mitten im angeblich gesicherten Stadtzentrum Kabuls, an seiner wichtigsten Verbindungsachse, an der viele internationale Organisationen und ISAF-Truppen ihre Hauptquartiere haben. Hunderte Menschen hatten den Anschlag gesehen. Vielleicht würde man eine Spur zu den Hintermännern aufnehmen können.
Zur Untersuchung der Hintergründe traf schon am Mittwoch nach dem Anschlag ein Team von Terrorismusexperten und Tatortermittlern des Bundeskriminalamts in Kabul ein. War der Anschlag nur eine Einzelaktion oder der Beginn einer neuen Taliban-Offensive gegen deutsche Einrichtungen und Soldaten? War der Wagen der VIP-Personenschützer vielleicht ganz gezielt ausgewählt worden? Wollten die Terroristen eine bedeutende deutsche Führungskraft, einen General oder Politiker, töten? Galt der Anschlag möglicherweise dem damaligen Generalbundesanwalt Kay Nehm, dessen Besuch für das
darauffolgende Wochenende angekündigt war, oder gar dem deutschen Kommandeur der ISAF-Schutztruppe, Hans-Christoph Ammon, wie im Lager bald kolportiert wurde?
Es ging auch um die Frage, was schiefgelaufen war. Gab es Sicherheitslücken im Personenschutz? Nach unbestätigten Gerüchten hatte die deutsche Botschaft in Kabul am Morgen des Attentats eine Anschlagswarnung herausgegeben, die, wie aus Kreisen der Bundeswehr verlautete, nicht an die
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