Wofuer wir kaempfen
Spekulation. Es ergaben sich keine Hinweise.
Bisher hatte das Böse kein Gesicht. Aber als ich das fertige Bild zum ersten Mal sah, hatte es plötzlich Gestalt angenommen und sich auf diesem weißen Stück Papier materialisiert. Damals kam dieser kurze wütende Flash: Warum hast du uns das angetan? Aber das sind Fragen, die in die Leere führen und erschöpfen, weil es keine Antworten gibt. Und so haben wir es gelassen. Das Einzige, was manchmal kommt, ist das Gefühl, nicht verstanden worden zu sein. Denn wir sind mit der Überzeugung da runter – ich nach Sarajevo und Tino nach Afghanistan – , den Menschen wieder Frieden zu bringen, das Land aufzubauen, damit die Menschen dort eine Zukunft sehen. Wir wollten helfen.
Zum Glück hatten wir damals keine Zeit, uns in diesen sinnlosen Grübeleien zu verlieren. Damals hatten wir genug mit uns selbst zu tun. Es ging um Tinos Leben – die ganze Situation war so übermächtig besetzt von unserer Gegenwart, dass ein Nachdenken über die Motive und die Person des Täters ganz weit hinten stand. Außerdem gab es kein Zurück. Selbst wenn
man stundenlang über das Motiv des Attentäters nachdenkt, wenn man sich fragt, warum es ausgerechnet einen selbst getroffen hat, man kann nichts mehr an der Situation ändern – und wir brauchten unsere ganze Kraft für unsere Zukunft. Der Täter ist bis heute kein Thema zwischen mir und Tino. Wir geben dem keinen Platz, weil es uns schwächen würde, die Gegenwart und unser neues Leben zu lieben.
Die Kopie des Phantombilds haben wir damals wieder zerrissen, weil Erinnern bedeutet, dass der Täter in uns weiterlebt. Diesen Gefallen werden wir ihm nicht tun.
Die Befragungen durch das BKA waren sehr gut für Tino. Natürlich konnte er keine Angaben machen, was nach der Explosion auf der anderen Seite des Wagens passiert war – aber die Ermittler konnten aufgrund ihrer Nachforschungen bestätigen, was Tino geschildert hatte. Das war später besonders wichtig für Stefan, der an den Anschlag bis heute keine Erinnerungen mehr hat. Die Ermittler konnten Stefan und Tino bestätigen, dass sie aus professioneller Sicht als Personenschützer keinen Fehler gemacht hatten. Eine Verwundung durch Nachlässigkeit oder Schlamperei, das hätte einen so superkorrekten Soldaten wie Stefan mit seiner hohen Dienstauffassung schwer getroffen – selbst schuld zu sein, ein abwendbares Attentat nicht verhindert zu haben. Sie hatten nach Meinung der Experten alles richtig gemacht.
Die Ermittlungen zu diesem Anschlag sind am 11. März 2010 auf Veranlassung des Generalbundesanwalts eingestellt worden. Der Täter ist nachweislich tot. Über die Hintermänner liegen keine Erkenntnisse vor. Die als geheim eingestufte Akte mit den Ergebnissen soll angeblich acht Leitzordner mit je rund 500 Blatt umfassen und wurde im Bundesarchiv in Koblenz eingelagert. Die Aufbewahrungsfrist beträgt zehn Jahre ab Einstellung des Verfahrens. Am 11. März 2020 wird dieses Kapitel endgültig geschlossen und die Akte vernichtet,
sollten die Archivare bis dahin zu dem Schluss kommen, dass der Tod des Oberleutnants Armin Franz und die schweren Verletzungen von Stefan Deuschl und Tino Käßner als »historisch nicht wertvoll« einzustufen sind. Und so entscheiden am Ende Archivare, wie wir unsere Toten ehren und wie historisch wertvoll es für unsere Gesellschaft war – das Leben und Sterben unserer Soldaten in Afghanistan.
Die Druckwelle erreicht Murnau
In der Heimatkaserne unserer Männer in Murnau hatten die Ereignisse tiefe Betroffenheit ausgelöst. Spieß Markus Eng machte sich zunächst Sorgen um die Moral der Truppe, entdeckte dann aber, dass das Leid, das auch mich und Tino näher zueinander brachte, die Einheit zusammenschweißt. Für uns war es später ein ganz besonderer Trost, als er über seine Erfahrungen berichtete: »Ich war insgesamt drei Tage in Koblenz. Als ich nach all dem Bangen und Hoffen Stefan und Tino auf der Intensivstation sehen konnte, hat mich das am stärksten berührt. Man hatte ja alle möglichen Befürchtungen, was da auf einen zukommt, wie schlimm sie zugerichtet sind. Einerseits war ich erleichtert, dass die beiden lebten und in Sicherheit waren. Andererseits habe ich zum ersten Mal unmittelbar erfahren, was es bedeutet, das ›heiße Ende‹ eines nicht gerade gewöhnlichen Berufs zu erreichen: Verletzung, Invalidität – und Tod. Bis heute erinnere ich mich an das erste Telefonat, das ich nach dem Besuch auf der Intensivstation in Koblenz am
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