Wofuer wir kaempfen
Deutschland lieber Fußballstar oder Popstar bei DSDS wird und Feldwebel bei der Bundeswehr anscheinend nicht zu den Traumberufen zählt.
Ich denke, dass ich für alle spreche, wenn ich sage: Kein Bundeswehrsoldat, der sich im Moment im Auslandseinsatz befindet – wie auch Tino und Stefan damals –, erwartet Dankbarkeit von Seiten der Gesellschaft. Was wir aber alle wünschen und was allen in der Bundeswehr und unserer Gesellschaft guttun würde, ist Anerkennung und Aufmerksamkeit für den Dienst, den wir für unser Land im Auftrag des deutschen Parlaments im Ausland leisten. Wir Soldaten haben deshalb nicht verstanden, warum es Diskussionen gab, ob die Frau des Verteidigungsministers mit nach Afghanistan fliegt und ob man von dort eine Talkshow sendet – wir fanden das sehr mutig und für uns war es ein Zeichen, dass wir vielleicht mehr Öffentlichkeit bekommen, die wir für unseren Job benötigen. Denn wir Soldaten sind nicht zum Spaß in Auslandseinsätzen unterwegs, sondern mit einem Auftrag. Wir wurden vom deutschen Volk dorthin befohlen. Jeder von uns könnte prima an seinem Standort in Deutschland gemütlich Dienst tun, ganz ohne Gefahr für Leib und Leben.«
Tino erwacht aus dem Koma
Während die Kameraden von Tino und Stefan in Murnau mit uns um Armin Franz trauerten, hofften und weinten und die Spezialisten des Bundeskriminalamts in Kabul erste Nachforschungen über das Attentat anstellten, mussten wir uns der unabänderlichen Wahrheit stellen: Tinos Unterschenkel war ab. Die Ärzte wollten Tino noch bis zum Wochenende im Koma lassen und am Samstag langsam ins Bewusstsein zurückholen. So vergingen Donnerstag und Freitag wieder mit Warten. Warten in der Cafeteria des Krankenhauses. Sinnlose Spaziergänge durch Koblenz. Warten im Hotelzimmer. Abends Telefonate mit meiner Mutter.
Am zweiten Tag nach unserer Ankunft kamen unsere Betreuer, zwei Pfarrer. Einer evangelisch, der andere katholisch. Während die evangelische Pfarrerin wohltuend zurückhaltend war, kamen wir mit dem katholischen Pfarrer überhaupt nicht zurecht. Der wollte uns Vorschriften machen, wann wer zu Tino ins Zimmer darf. Unser bester Freund aus Tinos Kompanie, Mario, sollte überhaupt nicht hinein dürfen. Dem ist dann der Kragen geplatzt, und er hat dem Pfarrer deutlich gesagt, dass er das wohl am allerwenigsten bestimmen dürfe, wer zu Tino darf; das stehe nur den Ärzten zu oder den Familienangehörigen. Der Pfarrer berief sich auf seine Vorschriften – so hatten wir uns den himmlischen Beistand nicht vorgestellt. Ich erzähle das, weil dieser Pfarrer ein paar Tage danach am Bett von Stefan stand, als der aus dem Koma erwachte. Aber dazu später.
Eine Begegnung der anderen Art hatten wir kurz darauf. Das Krankenhaus meinte es gut und wollte uns ein Psychologenteam an die Seite stellen, vor allem zur Betreuung unserer Männer wegen der Amputation. Kein Mensch konnte vorhersehen,
in welchem mentalen Zustand die beiden aus dem Koma aufwachen würden. Wie würden sie die Nachricht der Amputation verkraften? Viele Patienten – vor allem Männer – sind nach einer Amputation selbstmordgefährdet. Sie fühlen sich minderwertig, verunstaltet und finden sich nur schwer mit ihrer Behinderung ab. Tino und Stefan waren nach allen psychologischen Erfahrungen allein schon wegen ihrer Sportbegeisterung extrem gefährdet. Nicht nur zum Schutz vor der Presse hatten die Mediziner sie in den 4. Stock auf die Station für Brandverletzte verlegt. Diese Abteilung hatte keine Fenster, die man öffnen konnte. Hier würde sich niemand aus einer Kurzschlusshandlung heraus aus dem Fenster stürzen können. Um diese kritische Phase meistern zu können – der Normalbürger ist ja nicht geschult, er steht solchen Krisen hilflos gegenüber und kann sich nur auf seinen gesunden Menschenverstand verlassen –, stellt die Bundeswehr den Betroffenen psychologische Berater an die Seite.
Am Mittwoch stand also das erste Gespräch mit diesen zwei Beratern an. Ich ging mit Stefans Frau Vio zu dem Termin. Das Koblenzer Krankenhaus hat lange, dunkle Tunnelgänge, und hier kamen uns die beiden Psychologen, die Tino und Stefan später betreuen sollten, entgegen. Sie öffneten uns die Tür ins Besprechungszimmer, und als wir in den hellen Raum traten, glaubten wir erst nicht, was wir sahen. Ich schaute Vio an. Vio schaute mich an. Einer der Psychologen hatte schwarze Lockenhaare, buschige Augenbrauen und einen mächtigen schwarzen Bart. Unter seinen schwarz
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