Wofuer wir kaempfen
glitzernden Augen ragte eine markante Nase aus seinem dunkelbraunen Gesicht. Freundlich und in perfektem Deutsch sagte er: »Ich bin jetzt Ihr Psychologe.«
Uns beiden, Vio und mir, kam das wie ein schlechter Scherz vor: Das also war das Gesicht, in das Tino und Stefan schauen sollten, wenn sie aus dem Koma aufwachen würden? Ein Gesicht,
bei dem sie wahrscheinlich impulsiv annahmen, dass sie noch in Afghanistan seien, ein Gesicht, das sie wahrscheinlich als bedrohlich, als das Gesicht eines feindlichen Taliban identifizierten. Zu diesem Menschen – egal wie kompetent er fachlich war – würden die beiden niemals Vertrauen fassen können. Nicht nach dem, was sie erlebt hatten. Wir waren sicher, das würde nicht klappen, wenn es schon bei uns Frauen einen derartigen Ruck gegeben hatte. Wir waren beide völlig entgeistert und ich flüsterte: »Vio, das kann doch nicht wahr sein!« Vio flüsterte zurück: »Wir müssen sofort was sagen, das geht gar nicht!«
Es stellte sich heraus, dass der afghanisch aussehende Psychologe Grieche war. Er und sein Kollege waren zunächst irritiert, als ich sagte, dass Tino und Stefan Schwierigkeiten haben würden, mit ihm vertrauensvoll zusammenzuarbeiten und wir unseren Männern einen möglichen Schock nicht zumuten wollten. Das läge rein am Äußeren und an der besonderen Situation, die die beiden durchlebt hatten, und habe nichts mit seiner ärztlichen und psychologischen Qualifikation zu tun. Die Ärzte wirkten betroffen und gaben zu, diese Schwierigkeit nicht bedacht zu haben. An Stelle des griechischen Psychologen, der ein ausgesprochen freundlicher Mensch war, wurde uns daraufhin ein weißhaariger, älterer, sehr europäisch wirkender Kollege zugeteilt.
Was muss nicht alles bedacht werden nach solchen Anschlägen! Es ist ja nicht nur der Körper schwer verletzt, auch die Seele hat ihre Wunden abbekommen. Damit nicht genug: Die Sprengsätze der Attentäter zielten ja auch auf die Familie im Heimatland, die Partnerschaft, das Vertrauen und alle gewohnten Lebensweisen des Opfers. So eine Explosion, denke ich heute oft, wirft alles durcheinander – und man muss die Trümmer all dessen, an das man gewohnt war und was sicher schien, langsam wieder zusammensuchen, ordnen und neu zusammenbauen.
Denn für das, was da passiert, gibt es keine Gebrauchsanleitung, keinen Bauplan. Dieser Prozess braucht unendlich viel Zeit, Fürsorge, Liebe und Vertrauen, damit das Leben auch nach so einer tiefen Krise wieder möglich wird. Dieses neue Leben hat große und gute Chancen, wenn man nicht alleine ist, auch das haben Tino und ich erfahren. Der Partner und die Familie sind wichtig. Ein intaktes soziales Umfeld, Freunde, Vereinsleben, Hobbys und bei Tino natürlich seine Kameraden. Und von allen würden Tino und Stefan sehr viel Zuwendung brauchen und erfahren.
Die ganze Zeit über waren vier Feldjäger zu unserer Betreuung abgestellt, die uns in allem unterstützten und uns viel von der Last abnahmen, Formulare auszufüllen, Behördengänge zu erledigen. Abends sind wir alle zusammen essen gegangen – einfach, damit man ein bisschen aufgefangen war. Es war für uns ungemein wichtig, diese stille, helfende Unterstützung zu bekommen. Dafür sind wir unglaublich dankbar. Durch die Hilfe der Kameraden fühlten wir uns aufgehoben, und wir waren froh, dass man uns ganz normal behandelte.
Immer wieder musste ich nämlich erleben, dass Menschen in einen regelrechten Schockzustand gerieten, wenn ich sagte, dass ein Selbstmordattentäter in Kabul meinen Freund schwer verletzt hat. So wie damals bei meinen Kollegen in der Werbeagentur, als die Feldjäger mich abgeholt hatten. Das nächste Erlebnis dieser Art hatte ich, als ich eine Bekannte aus meiner Bonner Zeit im Sanitätsdienst auf dem Krankenhausgang wiedertraf. Zunächst mal ein freudiges: »Hey, was machst denn du hier, lange nicht gesehen, wie geht’s denn so?« Ich dachte kurz nach, was sage ich jetzt? Und antwortete kurz: »Mein Freund liegt hier.« »Wieso, was hat er denn?« »Der war bei dem Anschlag in Kabul dabei letzten Montag.« Und dann fiel bei meiner Bekannten mit einem »Ummmpf« erst mal
die Kinnlade runter. Thema ganz schnell gegessen, und weiter ging’s eilig zu wichtigen Terminen. Damit konnte sie nicht umgehen, denn der Tod in Afghanistan war kein Unfall, kein Unglück – sondern etwas Fremdes, das nicht in das eigene Lebensumfeld passte. Man hörte zwar immer mal von entfernten Bekannten, die jemanden über drei
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