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Wofuer wir kaempfen

Wofuer wir kaempfen

Titel: Wofuer wir kaempfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tino Kaeßner , Antje Kaeßner
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Ecken kannten, der in Afghanistan getötet oder verwundet worden war. Aber direkt kam man mit solchen Schicksalsschlägen selbst in der Bundeswehr kaum in Berührung. Genauso war es für viele Kameraden ein Tabuthema; schon aus Selbstschutz wurde über Todesgefahren auch in der Familie wenig gesprochen, weil man seine Angehörigen nicht unnötig beunruhigen wollte. Auch in den Medien war darüber fast nichts zu lesen. Das Sterben und Leiden der Opfer, die langwierige Behandlung der Verletzten und Traumatisierten – das fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, auch weil die Bundeswehr über tragische Ereignisse umgehend eine Nachrichtensperre verhängte. Vermutlich aus Rücksicht auf die Bevölkerung und vor allem wegen der Akzeptanz des Afghanistaneinsatzes hielt auch die Bundesregierung eine zu offene Medienberichterstattung für nicht angebracht. Offiziell lief das Engagement in Afghanistan noch immer als »humanitärer Einsatz«. 2010 hat der Deutsche Bundestag die Rekordsumme von 1,1 Milliarden Euro für die deutsche Beteiligung der inzwischen 5350 Soldaten am ISAF-Einsatz bewilligt – die direkten Kosten des Militäreinsatzes der Bundeswehr werden damit in nur einem Jahr voraussichtlich so viel Geld verschlingen wie die gesamte zivile Wiederaufbauhilfe Deutschlands für Afghanistan von 2001 bis 2010, wie eine Anfrage aus dem Plenum des Bundestags ans Licht bringt. Schleichend war aus dem einst geplanten humanitären Einsatz ein Militäreinsatz geworden.
    Auch Tino und Stefan wurden von der Öffentlichkeit abgeschirmt. Über die beiden Patienten ganz oben im 4. Stock
hatte das Verteidigungsministerium eine Nachrichtensperre verhängt. Es gab nur eine kurze Presseerklärung des Krankenhauses. Einmal standen Presseleute an der Pforte des Krankenhauses – sie wurden jedoch weggeschickt. Uns hat auch nicht interessiert, was in den Zeitungen steht. Wir hatten genug mit uns selbst zu tun. Im Fernsehen nahmen wir Ende der Woche mehr nebenbei einen kurzen Bericht über die Beerdigung von Oberstleutnant Armin Franz in seiner Heimatstadt wahr, überrascht, wie schnell man stirbt und unter die Erde kommt. Wir aber hatten keine Kraft, uns weiter darum zu kümmern oder zu trauern. Wir waren leer, erschöpft und mit dem Rest unserer Kraft völlig bei Tino und der Frage, wie er, wie wir aus dieser Krise heil herauskommen würden.
    Rückkehr aus dem Koma
    Freitagabend habe ich erste Veränderungen in Tinos Zustand bemerkt. Als wenn durch all seine Drähte, Kabel und Schläuche langsam wieder Leben in ihn zurückfließen würde. Die ersten Tage war Tino wie ein Toter aufgebahrt in seinem Bett gelegen, jetzt aber sah ich leichte Bewegungen in seinen Körper, ein Zucken der Muskeln. Tinos Augäpfel flackerten unruhig hinter den geschlossenen Lidern hin und her, als würde er schwere Träume erleben. Der Arzt sagte, man würde ihm für die Nacht nochmals Narkosemittel geben, damit er im Koma bleiben und erst am Samstagmorgen langsam wach werden könnte. Er sollte wieder in seinen natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus zurückfinden und ins Leben zurückkommen, wenn es draußen hell war. Am Samstagmorgen also würde Tino auch mich wiedersehen.
    Es war für mich eine sehr unruhige Nacht, denn ich wusste ja nicht, ob er wirklich alles heil überstanden hatte. Viele Fragen geisterten durch meinen Kopf: Erkennt er mich? Was weiß er
noch von dem Anschlag? Hat er durch den Schock oder während des Komas seine Erinnerungen verloren? Ich spürte Panik in mir aufsteigen. Wie würde Tino auf den Verlust seines Beins reagieren? Wie sollten wir ihm das beibringen, ohne ihm den Lebensmut zu nehmen?
    Das Aufwachen aus dem Koma ist ein sehr heikler Moment. Ein Stück Wiedergeburt, bei dem selbst die Ärzte nicht genau sagen können, wann sich der Patient in sein Bewusstsein zurückgekämpft hat. Alles hängt davon ab, wie schnell der Körper die Reste der Narkosemittel abbaut. Die Ärzte legen heute immer großen Wert darauf, dass die Angehörigen in der Phase des Aufwachens beim Patienten sind. Vertraute Gesichter helfen ihm, sich schneller zurechtzufinden und Erinnerungslücken zu schließen.
    Nur langsam lichtete sich der dichte Nebel, der Tino die vergangenen sechs Tage gefangengehalten hatte. Zuerst hat er, wie die Ärzte mir sagten, vermutlich nur das Alarmfiepen der Überwachungsgeräte gehört, Stimmengewirr, hat den Druck des Beatmungsschlauchs gespürt, gegen den sein eigener erwachender Atemrhythmus ankämpfte. Immer wieder fiel er

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