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Wofuer wir kaempfen

Wofuer wir kaempfen

Titel: Wofuer wir kaempfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tino Kaeßner , Antje Kaeßner
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Auslöser zu sagen: Ich muss jetzt stark für ihn sein. Ich renne jetzt nicht davon. Wir stehen das gemeinsam durch. Egal wie. In diesem Moment habe ich für mich beschlossen: Ich bin jetzt für dich da! Zusammen würde uns nichts aus der Bahn werfen. Meine Entscheidung stand felsenfest.
    In unser Hochzeitsbuch habe ich später geschrieben: »Fünf
Tage nach dem Anschlag, am 19. November 2005, bist Du aus dem Koma erwacht wie Dornröschen aus einem 100-jährigen Schlaf. Ich war da und für mich war klar: Ich will immer für Dich da sein. Wir wollen zusammen kämpfen.«
    Zum ersten Mal seit Tagen spürte ich, dass so etwas wie Glück wieder möglich sein könnte.

Erste Schritte ins Leben
    Wie Tino die erste Zeit nach dem Aufwachen aus dem Koma erlebt hat? Am besten, ich lasse ihn mal direkt zu Wort kommen: »Rührei mit Spinat und Kartoffeln – in der ersten Nacht, als ich wieder bei Bewusstsein war, habe ich einen solchen Heißhunger bekommen, dass mir die Stationsschwestern nachts um drei noch was gekocht haben. Rührei mit Spinat und Kartoffeln. Nie wieder hat das so köstlich geschmeckt wie in jener Nacht. Ich habe nicht viel essen können, aber das Gefühl, wieder richtige Nahrung im Mund zu haben, selbst zu kauen und vor allem zu schmecken – das war ein Stück Rückeroberung meines Lebens. Die Ärzte sahen das genauso: Ich durfte essen und trinken, was ich wollte. Das ganze Geschmacksempfinden ist nach so einer Tortur sehr viel intensiver – es ist, als müsse sich das Gedächtnis alle Erinnerungen an Geschmack zurückerobern. Einmal hatte ich Lust auf eine Cola. Mein Kamerad Mario ist dann runter in die Cafeteria und hat mir sofort eine gebracht. Man kann sich nicht vorstellen, wie gut so etwas wie eine zuckersüße Cola schmecken kann – sie hat auch nie wieder so gut geschmeckt wie damals das erste Mal nach dem Koma.
    Die folgenden vier Tage vergingen zwischen Schlafen, Essen, Ärztevisite, Glückwunschkarten und immer wieder Antje. Ich spürte Wärme und Sicherheit. Wenn ich nach rechts schaute, sah ich an der Wand die Bayernfahne mit den vielen Unterschriften meiner Kompanie in Kabul. Eigentlich jeder, den ich kenne, hatte einen Gruß geschickt. Sie denken also an mich, ich bin nicht vergessen. Immer wieder schießen mir vor Rührung Tränen in die Augen.
    In den ersten Tagen bin ich nach kurzen Wachphasen immer wieder weggedämmert. Ich habe mir viel Ärger eingehandelt,
weil ich mir immer wieder den Beatmungsschlauch herausgezogen habe – aber ich wollte selbst atmen und konnte es nicht erwarten, schnell genug von der Intensiv- auf die normale Station zu kommen. Aber ich war noch viel zu schwach.
    Ein paar Tage später kam die nächste Überraschung, als nach dem Aufwachen Vio, die Frau von Stefan, neben mir stand. Ich konnte mich schlecht bewegen, wegen der Schläuche und weil alles wehtat, ich fuhr mein Bett langsam hoch – und dann sah ich im Bett neben mir meinen Kameraden Stefan zum ersten Mal wieder nach der Explosion in Kabul. ›Mensch, Stefan!‹ Aber er konnte mich nicht hören, weil er noch im Koma war. Ab diesem Zeitpunkt hatte ich keine ruhige Minute mehr, vor allem nachts, wenn ich alleine war und die Apparate das Piepen angefangen haben, hatte ich Angst um ihn. Stefan! Da stimmt was nicht. Schwestern rufen. Stefan muss auch durchkommen, jetzt, wo wir zurück in Deutschland sind, zurück in Sicherheit – jetzt darf ihm nichts mehr passieren auf den letzten Metern. Immer wieder habe ich nachts mit ihm geredet, ihm Mut gemacht. Ich wollte nicht, dass er neben mir stirbt. Ich hatte beschlossen, auf ihn aufzupassen, ihn mitzunehmen in sein neues Leben. Wegen Vio, seinen beiden Söhnen – aber auch wegen mir. Der Attentäter sollte nicht am Ende doch noch den Kampf um ein zweites Leben gewonnen haben. Es hat eine Weile gedauert, bis ich wusste, was normal ist an dem Geräuschpegel auf einer Intensivstation, soweit da irgendetwas normal sein kann.
    Irgendwann bin ich nachts mal aufgewacht. Es muss 23 Uhr gewesen sein. Ärzte standen um das Bett von Stefan und mich durchschoss ein kalter Gedanke. Ich rief zu den Ärzten hinüber, wie es ausschaut bei Stefan. Sie drehten sich langsam um und begriffen. Der Oberarzt sagte: ›Es wird alles gut, Herr Käßner. Ihr Kamerad Stefan ist erst mal über dem Berg – er wird leben! In den nächsten Tagen werden wir ihn aufwecken
und sehen, wie gut er alles überstanden hat.‹ Das war eine so große Erleichterung. Erst ab diesem Moment konnte ich

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