Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wofuer wir kaempfen

Wofuer wir kaempfen

Titel: Wofuer wir kaempfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tino Kaeßner , Antje Kaeßner
Vom Netzwerk:
Anstrengung zeigen, dass er derselbe ist wie vor dem Anschlag, und ihnen somit den Schmerz nehmen. Er wollte gewissermaßen alles ungeschehen machen – oder zumindest so tun, als ob alles normal wäre. Es ging nicht so sehr um ihn oder um mich – er wollte seinen Eltern zeigen, dass er den Ehrgeiz hat, gesund zu werden, und dass sie sich um ihn keine Sorgen zu machen brauchen.
    Ein neues Leben lag zum Greifen nahe vor uns. Wir wussten, dieser Weg wird noch ein weiter sein – aber wir hatten angefangen, ihn gemeinsam zu gehen. Es kamen auch wieder schwere Rückschläge, die unseren Mut immer wieder auf die Probe gestellt haben. Doch das änderte nichts an der Bedeutung dieses Tages: zu erleben, dass es möglich sein würde, dass Tino selbstbestimmt leben und gehen kann, ohne auf Hilfe angewiesen zu sein. Das war der Wendepunkt. Und ab hier ging es trotz aller Widrigkeiten nur noch bergauf.
     
    Tino wollte nicht nur für seine Eltern wieder stehen können. Es ging auch um uns. Unsere Liebe war plötzlich Prüfungen ausgesetzt, weil mir Bekannte wohlmeinende Ratschläge geben wollten: »Willst du das wirklich auf dich nehmen? Glaubst du tatsächlich, dass du das schaffen wirst? Jetzt könntest du doch noch was Neues suchen! Mir wäre das zu viel!« Diese Fragen und Ratschläge kamen meist von Freunden oder entfernten Verwandten, die uns nicht zusammen erlebt hatten und nicht wussten, wie das läuft mit Tino und mir. Und natürlich drehte es sich immer wieder um das Thema Geld: »Wie soll Tino denn eine Familie ernähren? Er kann doch in seinem Beruf nicht weiterarbeiten?« Ich fühlte mich damals sehr verletzt, weil jemand meine Gefühle, meine Treue zu Tino und meine Lebensgrundsätze infrage gestellt hat. Geld und Versorgung hatten in all meinen Überlegungen, wie unsere Zukunft aussehen könnte, niemals eine Rolle gespielt.

    Kaum jemand kann sich vorstellen, wie das ist, wenn der Mensch, den man liebt, von einem Tag zum anderen eine so schwere Verletzung hat. Viele sagen vielleicht, sie würden das nicht packen – aber ich kann sagen, dass es bei uns beiden genau andersherum war. Uns hat das Ereignis fester zusammengeschweißt. Wenn man solche Prüfungen bestehen will, muss man ehrlich zu sich selbst sein und sich offen fragen: Was will ich, wie viel halte ich aus und was soll mein zukünftiges Leben ausmachen? Wie kann mein Leben mit einem behinderten Mann aussehen? Will ich das wirklich? Oder sollte ich ihn jetzt besser verlassen? Bleibe ich nur aus Mitleid oder aus Liebe zu diesem Mann? Wenn man sich jede dieser Fragen ehrlich beantwortet und zu einem positiven Ergebnis für die Beziehung kommt, ohne Zweifel zu haben, dann wird man später alle Hürden überwinden. Vielleicht fällt man zunächst in ein tiefes Loch und weiß nicht, wie es weitergehen soll. Aber es geht weiter. Irgendwie geht es immer weiter.
    Ich finde es nicht verwerflich, wenn jemand sagt, ich komme damit nicht klar. Es ist die Lebensentscheidung jedes Einzelnen. Es sollte sich keiner ein Urteil erlauben und über andere richten, wer diese Situation nicht selbst durchgemacht hat. Ich habe diese Lebenskrise hinter mir, und ich wünsche keinem, dass er gezwungen wird, solche schweren Entscheidungen treffen zu müssen.
    Über all diese Gedanken damals habe ich mit Tino bis heute nie wirklich geredet. Ich weiß umgekehrt nicht, was in ihm vorgegangen ist – ob er etwa Angst hatte, mich zu verlieren? Er selbst hat es nie erwähnt. Ich glaube, ich habe es ihm sehr leicht gemacht – an meiner Liebe brauchte er zu keinem Zeitpunkt zu zweifeln. Und wenn das jemals eine Frage für ihn war, dann war das ganz schnell klar zwischen uns: Wir bleiben zusammen. Es war ein stilles Versprechen – und dadurch, dass wir bis heute nicht darüber reden mussten, ist es sehr stark geblieben.

    Was uns auch geholfen hat war, dass Tino und ich uns immer gesagt haben, bei allen Schwierigkeiten, die kommen werden, wir sind kreative Köpfe, uns wird schon was einfallen. Das hat sich als wahr erwiesen: Wir sind Stück für Stück immer ein bisschen weitergekommen und haben Auswege gefunden, wo es keine Auswege zu geben schien. Wenn der eine Weg nicht ging, dann haben wir den zweiten oder dritten versucht – bis es weiterging. Dieser Weg wird kein leichter sein. Aber uns war damals schnell klar, dass wir ihn zusammen gehen werden.

Ein Soldat braucht auch Mut zum Leben
    Stefan hat viel länger kämpfen müssen, um sich wiederzufinden. Er war maximal drei Meter vom

Weitere Kostenlose Bücher