Wogen der Leidenschaft - Roman
eigentlich war ich den ganzen Tag mir selbst überlassen.«
Noch immer lag Michaels nachdenklicher Blick auf ihm. Plötzlich wechselte seine Miene, und er lächelte Ben schief an. » Sehr klug von ihr, denke ich. Verwundete Tiere sind zu ihren Rettern nicht immer sehr nett.«
Dann drehte sich der Junge um und ging hinaus, so wenig besorgt wie Emma, dass er allein blieb. Zwar hatte es Ben nichts ausgemacht, den ganzen Tag allein zu sein. Er hatte sich meist in Michaels Zimmer aufgehalten, hatte dagesessen und sich umgesehen und sich über den Kind-Jungen gewundert, der ihm in manchen Dingen fremd war, in anderen aber sehr ähnlich.
Emma Sands hatte recht, Michael war für sein Alter sehr alt– ein Rätsel aus Jugend und Selbstvertrauen und Gelassenheit. Er besaß wie ein Erwachsener die Fähigkeit, hinter die Fassade eines Menschen zu blicken; was seinen Appetit betraf, war er aber ein Halbwüchsiger. Der Junge war für sein Alter groß, mit dunkelbraunem Haar, das einen Haarschnitt dringend nötig hatte, und weichem Bartflaum, der einen leichten Schatten über sein Gesicht legte.
Emma war es gewesen, nicht Ben, die Michael seinen ersten Rasierapparat in die Hand gedrückt hatte. Es war seine Tante und nicht sein Vater gewesen, die mit Michael wahrscheinlich schon über Mädchen und sicheren Sex und das Wunder junger Beziehungen gesprochen hatte. Und es war Emma, die der Junge im Herzen trug.
Es war höllisch, seinem Sohn so nahe zu sein und ihn nicht berühren zu können. Ihm nicht erklären zu können, dass er ihn sofort zu sich geholt hätte, wenn er von seiner Existenz gewusst hätte, oder dass er seine Mutter vor sechzehn Jahren geheiratet hätte. Er hätte alles anders gemacht, wenn er gekonnt hätte.
Ben humpelte zurück in sein Zimmer, entschlossen, einen Weg zu finden, Teil von Michaels Leben zu werden. Er würde seinem Verlangen, Emma zu strafen, oder Kelly zu finden und sie zur Rechenschaft zu ziehen, nicht nachgeben dürfen. Ihm war nun klar, wie dumm er gewesen war zu glauben, er könnte seinen Sohn haben und Vergeltung dazu. Sam hatte recht. Ein Junge verließ nicht die Frau, bei der er fünfzehn Jahre gelebt hatte, um mit einem neuen Vater ein neues Leben anzufangen. Auch würde er nicht aufhören, eine Mutter zu lieben, nur weil sie ihn verlassen hatte. Michael war damals erst fünf gewesen, doch hatte er Kelly gewiss mit kindlicher Liebe im Gedächtnis bewahrt.
Das bedeutete, dass Ben Michael nur ganz behutsam für sich fordern durfte, um ihn sich nicht völlig zu entfremden.
Im Laufe der nächsten Woche hatte Ben jede Menge Zeit, sich seine Vorgehensweise zu überlegen. Man ließ ihn allein, damit er sich erholen und das Gelände von Medicine Creek Camps erkunden konnte. Tagsüber war Michael in der Schule, abends lernte er oder kochte oder reparierte einen widerspenstigen Generator. Emma hatte drei ihrer sechs Hütten vermietet, und wenn sie nicht mit ihren Gästen unterwegs war, war sie mit Vorbereitungen für die Elchjagd-Saison beschäftigt, die nächsten Montag beginnen sollte. Ben wurde zu einem stummen, vergessenen Möbelstück, während er langsam gesundete und sich, nicht weiter verwunderlich, in seinen Sohn verliebte.
Auch wurde er sich Emmas zahlreicher Reize unangenehm bewusst. Tatsächlich wurde ihm die Hose knapp, wenn sie davonmarschierte, die langen Beine in abgetragenen, knappen Jeans, die ein köstlich gerundetes Hinterteil umspannten. Und die Abende konnte er kaum erwarten– dann kam sie in sein Zimmer, öffnete das Fenster, legte die Hand auf seine Stirn, um zu fühlen, ob er Fieber hatte, und zog ihm die Decke bis ans Kinn hoch. Nach jenem ersten Abend sprach er nicht mehr mit ihr. Er lag mit geschlossenen Augen da, während in ihm Wut und Lust kämpften.
Es war eine lange Woche.
3
M istkerl!«
Emma hörte ein lautes tierisches Schnauben. Da wusste sie, dass Benjamin Sinclairs erste Begegnung mit Pitiful stattgefunden hatte. Sie steckte ihre Brieftaube zurück in den Käfig und lief zur Vorderseite des Hauses. Wenn Pitiful in Spiellaune war, würde Ben sofort wieder im Bett landen. Diesmal mit mehr als nur ein paar angeknacksten Rippen.
Es gab einen lauten Krach, wieder einen Fluch, dann hörte man Hufgeklapper, als Emma um die Ecke bog und mit Benjamin Sinclair zusammenprallte. Der Mann zögerte keine Sekunde. Er klemmte sie einfach unter seinen Arm und suchte die nächste Deckung, die zufällig der Werkzeugschuppen war.
Unter seinem Arm wie ein Hafersack
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