Wogen der Liebe
Frau? In ihm pulsierte es. Auch er war bislang mit Blindheit geschlagen gewesen. Gleichzeitig fühlte er Beschämung. Viviane öffnete ihm gerade die Augen.
»Und alles nur, weil wir verblendet waren von Stolz und vom Glanz des Reichtums.« Seine Stimme klang belegt. Er blickte zu Yngvar. »Nicht Gold, Walrosszahn und Bernstein sind wichtig, sondern Korn, Vieh und die Menschen, die den Boden bearbeiten. Ich wollte das lange nicht begreifen, so wie ich auch Vivianes Liebe nicht erkannt habe.«
Sein Blick wanderte zu Astrid. »Mutter, ich muss dir sagen, dass ich für Viviane mehr empfinde, als du es mir zugestehst. Auf der langen Fahrt hatte ich viel Zeit, darüber nachzudenken. Wie die Augen eines Blinden plötzlich wieder sehend werden, habe ich nun erkannt, was mein Herz mir doch die ganze Zeit über sagen wollte.«
»Nein, mein Sohn, du musst dich nicht rechtfertigen. Auch ich sehe, wer die richtige Frau an deiner Seite ist. Ich habe Viviane freigegeben.«
Er zog Viviane in die Arme. »Verzeihst du mir, Viviane? Verzeihst du einem Mann, der vor eitlem Stolz die Liebe nicht erkannte?«
»Es gibt nichts zu verzeihen«, erwiderte sie leise. »Du bist wieder da, nur das ist wichtig. Ich habe nicht daran gezweifelt, auch wenn es eine sehr harte Probe war, die Gott … auf die uns die Götter gestellt haben.«
»Ihr seid die wahren Helden. Was habt ihr erleiden müssen an Demütigung, Schmerz und Leid, an Hunger und Kälte, Angst und Verzweiflung. Wie habt ihr gekämpft, um dies alles zu überstehen. Wir alle mussten einen hohen Preis zahlen, einen zu hohen Preis.«
Er sprang plötzlich auf und lief aus der Höhle. Es war mitten in der Nacht, kalt und still. Er atmete tief durch. Es war eine Katastrophe! Wut, Verzweiflung, Schuldgefühle und Rachegelüste kämpften in ihm. Er war zur Untätigkeit verdammt, wo er doch am liebsten die Schlacht seines Lebens geschlagen hätte. Er starrte auf den Fjord hinaus, wo irgendwo unten in der Dunkelheit die drei Drachenboote lagen. Wozu hatte er all die Fahrten unternommen, wozu alles geraubt, erbeutet? Er zweifelte am Sinn seines ganzen Tuns.
Als er eine leise Berührung gewahrte, brauchte er sich nicht umzudrehen, um zu wissen, wer es war. Viviane war ihm gefolgt, nachdem sie einen kurzen Blick des Einverständnisses mit Astrid gewechselt hatte. Sie ahnte, wie es in Thoralf aussah.
Er tastete nach ihrer Hand, dann zog er sie wortlos in seine Arme. Es tat so gut, ihre Nähe zu spüren, ihren biegsamen Körper, ihre Wärme. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter und blickte ebenso wie er in die Dunkelheit. So standen sie, bis er spürte, wie sie zitterte.
»Es ist kalt«, sagte er mit leiser Stimme.
»Wenn du bei mir bist, fühle ich die Kälte nicht mehr«, erwiderte sie. »Für diesen Tag habe ich gelebt.«
»Ich ebenso. Es war unerträglich ohne dich. Es verging kein Tag, an dem ich nicht an dich dachte, mich nicht nach dir gesehnt habe.«
»Ich war immer bei dir, hast du das nicht gespürt?«
»Doch! In der Nacht, da war es, als wärst du bei mir … Oh, Viviane, ich habe das Gefühl, ich fliege. Plötzlich fällt alles Schwere ab. Gleichzeitig schmerzt es hier drin.« Er hielt ihre Hand und presste sie auf seine Brust. Viviane spürte seine Haut unter dem Hemd, das dumpfe Pochen seines Herzens klang wie eine Verheißung.
»Auch ich verspüre diesen Schmerz, das Ziehen und Bohren, als wenn mir jemand dieses Herz rauben wollte.«
»Vielleicht will ich das. Vielleicht will ich dich behalten, dein Herz, deinen Körper, dich. Nein, Viviane, ich werde niemals wieder etwas rauben. Ich will nie wieder Menschen ins Unglück stürzen. Jetzt erst begreife ich, wie es ist, überfallen, beraubt, niedergebrannt zu werden. Bei Odin, was habe ich getan? Was habe ich dir angetan? Das, was mir geschehen ist, ist dir auch geschehen. Durch mich.«
»Wir sollten nicht mehr an die Vergangenheit denken. Ich bin überzeugt, die Nornen des Schicksals spinnen die Fäden, die uns auf einen gemeinsamen Weg leiten. Ich war bei dir auf dem Schiff, wir beide ganz allein, im Traum. Es war wie … wie ein Blick in die Zukunft.«
»Ein Traum? Es braucht kein Traum zu bleiben.«
Er fasste ihren Arm und führte sie sicher durch die Dunkelheit den Berg hinab. Am Strand hob er sie kurzerhand auf seine Arme und watete ins Wasser hinein. Das Schiff lag nahe am Strand. Mit Schwung schob er sie über die Bordwand und kletterte hinterher.
»Bezieht Wache am Strand«, befahl er den Männern,
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