Wogen der Liebe
hindurchzuschlängeln.
Da sprang Thoralf fluchend auf und rief: »Bei Odin, dieses Weib treibt mich in den Zorn! Wo steckt sie?«
Thoralf schaute sich um und sah gerade noch, wie Viviane zwischen den eintretenden Gästen hindurch entwischte. Mit wenigen Schritten war er an der Tür, stieß die Eintretenden beiseite und stürmte hinaus. Vivianes rotes Haar leuchtete zwischen den Buden und Ständen. Es fiel Thoralf nicht schwer, ihr zu folgen. Nach kurzer Zeit hatte er sie eingeholt.
»Jetzt ist es genug! Willst du mich zum Narren halten? Ich behandle dich wie meine eigene Schwester, und du dankst es mir, indem du meine Ehre beleidigst! Einem Thoralf Björgolfsson läuft man nicht davon. Ich bringe dich zu deinem vorherigen Herrn. Du wirst ja sehen, wie er dich behandelt, nämlich wie du es verdienst, als Sklavin.«
Viviane biss sich auf die Unterlippe. Thoralf hatte sie fest am Haar gepackt. Es schmerzte heftig, doch sie ertrug es stumm.
»Du bist nicht Skolli, die Füchsin, sondern Skalli, der trügerische Wolf. Du bist nicht, was du scheinst. Du bist ein Trugbild. Dich muss ich bannen.«
Viviane hatte keine Ahnung, wovon Thoralf sprach. Nur eines wusste sie – er hatte sie wieder eingefangen. Sein Zorn würde fürchterlich sein.
Eingeschüchtert zog sie den Kopf zwischen die Schultern. »Fuchs? Wolf? Ich weiß nicht, was Ihr meint, Herr. Aber wenn Ihr Eure Schwester so behandelt wie mich, dann seid Ihr ein schlechter Bruder.«
»Was? Du wagst es, so mit mir zu reden? Dann werde ich dich lehren, mich zu respektieren. Ich bringe dich auf mein Schiff. Von dort kannst du nicht flüchten.«
Er zog sie neben sich her bis zur Schenke. Er wurde mit Hohngeschrei empfangen. »Ist wohl eher ein Hase, dein seltsames Brautgeschenk! Leg sie an die Leine, sonst entwischt sie dir.«
Thoralf ließ sich wieder auf der Bank nieder. Er zwang Viviane neben sich. »Und nun iss, wir werden morgen früh in See stechen und lange unterwegs sein. Ich will, dass du lebend ankommst.«
Schweigend nahm Viviane das dargebotene Fleisch und biss hinein. Es war dumm davonzulaufen. Sie sollte ihr Schicksal annehmen.
Die gezückten Messer in den Händen der Männer ließen Viviane erschauern. Doch alle Augen waren nur begierig auf den Schweinekopf gerichtet. Jeder säbelte sich davon ab, was er bekommen konnte. Bald war nicht mehr viel übrig. Zwei Männer stritten sich, als sie gleichzeitig zugriffen.
»Ich war zuerst dran!«
»Nein, ich! Nimm deine Finger weg!« Er stach mit dem Messer nach der Hand seines Kontrahenten.
Im nächsten Augenblick stach auch dieser zu, mitten in den Bauch seines Nachbarn. Mit einem glucksenden Laut sackte der zusammen.
Die anderen sprangen auf. Sofort kam eine wüste Prügelei in Gang. Jeder schlug gegen jeden. Ein Bierkrug landete auf einem Kopf, und beide zersprangen. Bier mischte sich mit Blut, das Geschrei war ohrenbetäubend.
Entsetzt wich Viviane zurück. Sie spürte einen derben Griff an ihrem Arm. »Nicht, dass du wieder versuchst zu flüchten.« Thoralf zog sie mit sich, hinaus aus dem Kampfgetümmel und der Schenke.
Viviane war blass geworden. »So schnell tötet man einen Menschen«, ächzte sie.
»Das war doch nur eine Prügelei. Die sind alle betrunken, da kann das schon mal passieren.« Es schien Thoralf nicht sehr zu beeindrucken. »Ich bringe dich auf mein Schiff, und dann kümmere ich mich um einen neuen Ruderer.«
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Die Seeschlacht
V iviane konnte nicht behaupten, dass ihr die Seefahrt gefiel. Das Schaukeln des Schiffs verursachte ihr eine leichte Übelkeit. Das dunkle Wasser, das mit leisem Klatschen gegen die Bordwand schlug, flößte ihr Angst ein. Das Knattern des Segels über ihrem Kopf wirkte bedrohlich. Und doch war sie froh, auf Thoralfs Schiff zu sein. Es erschien ihr das kleinere Übel. Die Stadt Ribe, die vielen Menschen, die ihr Böses wollten, waren wie ein Alpdruck. Am meisten aber fürchtete sie den Sklavenhändler, seine Kunden, die rauhen Gesellen in den Wirtshäusern. Was zählte für sie das Leben eines Mädchens, gefangen, verschleppt, versklavt? Was zählte überhaupt ein Menschenleben?
Vorsichtig blickte sie über die Bordwand. Das Meer war unruhig, Gischt spritzte an Deck. Ihr Kleid war völlig durchnässt, und sie fror jämmerlich. Zudem bedeckte ein grauer Nebel das Wasser. Die beiden anderen Schiffe des Konvois waren nur schemenhaft zu erkennen. Angestrengt blickte Thoralf über den Bugsteven. Die Küste war nicht mehr zu sehen, obwohl sie nicht
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