Wogen der Liebe
hatte.
»Mein Geschenk an meine Braut«, erwiderte Thoralf und nahm den Krug entgegen, den ihm der Wirt reichte.
Er erntete lautes Lachen und erstaunte Blicke. »Glaubst du, eine Braut freut sich darüber, ein hübsches Mädchen geschenkt zu bekommen?«
»Sie ist doch nur eine Sklavin.« Thoralf setzte den Krug an und leerte ihn in einem Zug. Dann wischte er sich mit dem Ärmel die Lippen ab. »Und wieso hübsch? Eine kleine Füchsin mit flinken Beinen ist sie.«
»Eine Füchsin? Sie heißt Skolli?«
Thoralf drehte sich zu Viviane um und betrachtete sie nachdenklich. »Skolli? Keine Ahnung. Sag, wie heißt du?«
»Viviane.«
»Sie ist eine Christin. Dann pass auf, dass dich ihr Gott nicht verflucht.«
Thoralfs Gesicht versteinerte. »Unsinn! So mächtig ist dieser Gott nicht, dass er Thor und Odin bezwingen kann. Wir haben auf der Insel reichlich Beute gemacht, vor allem bei diesem Gott. Goldene Kreuze, mit Edelsteinen verzierte Truhen. Aber da waren nur Knochen drin. Seltsame Leute, diese Christen.«
»Auf Odin!« – »Auf Thor!« – »Auf eine erfolgreiche Víking!«
Viviane zog den Kopf ein und versuchte, sich möglichst klein zu machen und nicht aufzufallen. Betrunkene Männer konnten sehr unangenehm werden.
Thoralf achtete nicht weiter auf sie. Er leerte bereits den zweiten Krug und erzählte von seinen Abenteuern und Raubzügen. Die Zecher an seinem Tisch ließen sich kein Wort entgehen, hingen wie gebannt an seinen Lippen und bekundeten immer wieder lautstark Beifall und Zustimmung.
Viviane verstand die Sprache der Männer nur schwer, sie wollte auch nicht hören, wie sich dieser Räuber und Mörder mit seinen Schandtaten brüstete. Verzweiflung überkam sie wieder. Was würde mit ihr geschehen? Vielleicht ging es ihr bei Thoralfs Braut besser. Eine Frau würde sie verstehen, nicht ständig betrunken sein und so abscheulich stinken wie Thoralfs Zechkumpane. Nur ihr Magen knurrte laut und vernehmlich.
»Sitzt neben mir ein Bär?« Thoralfs Augen glänzten bereits, und er schwankte, als er etwas zu schnell den Kopf zu ihr wandte.
Viviane presste ihre Hand auf den Magen.
»Hier, trink einen Krug Bier, dann nimmst du das Leben leichter.«
Sie schüttelte stumm den Kopf.
»Wählerisch bist du auch noch.« Er seufzte. »Was habe ich mir da nur für einen Klotz ans Bein gebunden?« Er schnipste mit den Fingern. »He, Wirt, bring Brot und Käse für mein kleines Haustier. Es hat Hunger.«
»Du verwöhnst eine Sklavin? Nun ja, andere schenken ihren hübschen Sklavinnen Schmuck und schöne Kleider.«
Thoralf lachte. »Ich nicht. Schmuck und schöne Kleider soll meine Braut tragen, damit sie stolz auf mich ist und mich bewundert.«
»Wenn sie sieht, wie voll dein Schiff mit Schätzen beladen ist, dann wird sie sicher stolz auf dich sein. Pass auf, dass dir niemand deinen Schatz abjagt.«
»Wer soll mich angreifen?« Thoralf reckte sich und überragte die anderen um einen Kopf. »Das wagt niemand.«
»Recht hast du, Thoralf Björgolfsson! Lass uns darauf trinken!«
Der Wirt schleppte weitere Krüge heran. Er vergaß auch Viviane nicht. Ein Stück dunkles Brot und harten Käse legte er vor sie. Gierig verschlang sie es und lehnte auch den angebotenen Krug Bier nicht ab. Danach fühlte sie sich deutlich besser und ihre Lebensgeister erwachten. Langsam ließ sie sich von der Bank rutschen und kroch unter dem Tisch hindurch zum Ausgang. Thoralf würde es nicht bemerken.
Bei ihrer Flucht vor dem Wirt hatte sie die Augen offen gehalten und gesehen, dass Ribes Hinterland aus fruchtbaren Feldern, Wäldern und Feuchtgebieten bestand. Es gab sicher genügend Möglichkeiten, sich dort zu verstecken.
Unbeobachtet gelangte sie fast bis zur Tür. Sie hatte beschlossen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Mit lautem Geschrei begrüßten die Zecher in Thoralfs Runde gerade einen großen Braten, den der Wirt auftischte. Es war ein Schweinekopf, knusprig über dem Feuer gebrutzelt und mit Minze und Kresse gefüllt. Alle zückten ihre Messer, um über den Braten herzufallen. Für einen Augenblick vernebelte der Duft Vivianes Sinne. Obwohl sie notdürftig gesättigt war, hätte sie jetzt einen Bissen davon nicht abgelehnt. Und doch – ihre Freiheit war ein viel höheres Gut, als dass sie sie gegen ein Stück Fleisch eingetauscht hätte.
Von außen wurde der Vorhang, der die Türöffnung verhüllte, zurückgeschlagen. Neue Gäste betraten die Schenke, und Viviane versuchte, sich zwischen ihnen
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