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Wogen der Liebe

Wogen der Liebe

Titel: Wogen der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hastings
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einen todesähnlichen Schlaf.
    Es war kalt, doch sie spürte die Kälte kaum. Am liebsten würde sie schlafen und nie wieder aufwachen. Der Schnee bedeckte das Grab wie mit einem kalten Leichentuch. Er verwischte ihre Spuren, die sie auf ihrer panischen Flucht hinterlassen hatte. Doch niemand folgte ihr. Vielleicht waren sie alle tot. Es gab kein Skollhaugen mehr. Viviane wollte weinen, aber es kamen keine Tränen. Zum zweiten Mal in ihrem Leben hatte sie alles verloren.
    Sie wusste nicht, wie lange sie so gelegen hatte. Ihre Glieder waren vor Kälte erstarrt, ihre Gedanken arbeiteten langsam. Sie hielt die Augen geschlossen, es war still. Sie roch den modrigen Geruch des Laubes, in das sie sich hineingekuschelt hatte. Doch es wärmte nicht. Sie würde hier erfrieren, verhungern, an Entkräftung sterben. Es konnte nicht mehr lange dauern. Der Winter war ebenso grausam wie gnädig. Erfrieren war wie Schlaf. Nur endgültig.
    Sie ergab sich dem Schlaf und dem Traum, der sie hinwegführte aus der dunklen Höhle. Auf dem Fjord schaukelten die Drachenköpfe der Schiffe. Früher hätte sie diesen Anblick gefürchtet, jetzt erfüllte er sie mit großer Freude. Der Schnee war geschmolzen, die Wiesen grünten, und um ihre Füße scharten sich sternförmige weiße Blumen. Sie winkte hinunter zu den Männern, die zurückwinkten. Sie bemerkte Thoralfs hohe Gestalt. Mit großen Schritten eilte er auf sie zu. Ihr Herz schlug schneller, die freudige Erregung rötete ihre Wangen. Sie streckte ihre Hände nach ihm aus.
    »Viviane, die Herrin von Skollhaugen, begrüßt den tapferen und ruhmreichen Thoralf Björgolfsson, der heimkehrt von erfolgreicher Fahrt.«
    »Thoralf begrüßt seine geliebte Braut Viviane, die ihn mit glühendem Herzen erwartet hat und nun seine Frau wird.« Er sank vor ihr in die Knie, nahm ihre Hände und küsste sie.
    Sie blickte auf sein blondes Haupt hinab. Er hob den Kopf, seine blauen Augen strahlten mit dem Himmel um die Wette, seine Lippen entblößten zwei tadellose Zahnreihen. Kleine Lachfältchen bildeten sich in seinen Augenwinkeln. Die südliche Sonne hatte seine Haut gebräunt.
    »Ich heiße dich willkommen in meinem Haus. Meine Sehnsucht hat endlich ihre Erfüllung gefunden.« Sie beugte sich zu ihm hinab und küsste ihn. Er erhob sich, ohne seine Lippen von ihren zu lösen. Eine heiße Welle überrollte ihren Körper. Von fern hörte sie den jubelnden Beifall der Umstehenden.
    Der innige Kuss endete erst, als Viviane beinahe der Atem versagte. Thoralf legte seinen Arm um ihre Schulter. Gemeinsam gingen sie die wenigen Schritte durch das Tor auf den Hof. An der Schwelle zum Haupthaus blieb Viviane stehen. Auf ihren Armen lag, fein säuberlich zusammengelegt, der fertige Mantel, in roten, weißen und jadegrünen Streifen gewebt.
    »Mein Brautgeschenk für dich«, flüsterte sie.
    Feierlich nahm Thoralf das Geschenk entgegen. Er legte sich den Mantel um, Viviane schloss ihn mit einer kunstvoll getriebenen Fibel aus Bronze.
    »Kleine Skolli«, murmelte er gerührt. Dann reckte er sich stolz, wandte sich um und ließ sich von seinen Männern bewundern und bejubeln.
    »Ich habe dir dieses Hochzeitsgeschenk mitgebracht.« Unter seinem Hemd zog er eine Kette hervor und legte sie ihr um den Hals. Sie bestand aus schimmernden Jadeperlen, doch als sie genauer hinsah, waren es keine Perlen, sondern Augen. Die starrten sie an. Sie schreckte zurück, wollte sich die Kette vom Hals reißen. Dallas durchdringende Schreie gellten in ihren Ohren. Thoralfs Schwester fuchtelte mit einem kleinen spitzen Messer in der Luft. »Die Augen, die Augen, ich habe sie alle ausgestochen!«
    Hilfesuchend wollte Viviane sich in Thoralfs Arme retten, doch er war plötzlich verschwunden.
    »Thoralf!« Sie fuhr hoch. Eisige Luft umgab sie und Dunkelheit. Nur durch einen kleinen Spalt am Eingang drang etwas Tageslicht herein. Die Höhle war fast gänzlich zugeschneit. Viviane benötigte einige Augenblicke, um zu begreifen, dass sie geträumt hatte. Kalter Schweiß bedeckte ihren Körper, mit grausamer Deutlichkeit wurde ihr ihre aussichtslose Lage bewusst. Sie hatte geträumt, von Thoralf, dass er wiederkam. War es nur ein Wunsch, oder zeigten die Nornen des Schicksals ihr ihre Zukunft?
    Um die Antwort zu erfahren, musste sie leben. Doch wenn sie weiter tatenlos liegen blieb, würde sie in kürzester Zeit erfrieren. Sie spürte noch seinen Kuss auf den Lippen, der ihr Lebensodem eingehaucht hatte. Entschlossen erhob sie sich. Die

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