Wohin das Herz uns trägt
Aufgabenverteilung.
Ellie und Peanut traten beiseite und marschierten den Betonweg zum Krankenhausportal hinauf. Mit einem leisen Surren öffneten sich die automatischen Schiebetüren.
»Hallo, Ellie«, sagte die Rezeptionistin, als sie näher kamen. »Dr. Cerrasin wartet im alten Kindertagesraum auf Sie.«
»Danke!«, rief Ellie.
Schweigend gingen sie und Peanut den Korridor hinunter und stiegen in den Aufzug. Im ersten Stock passierten sie den Röntgenraum und bogen links ab.
Das letzte Zimmer auf der linken Seite war vor Jahren als Hort für die Sprösslinge der Klinikangestellten genutzt worden, geplant und entworfen, als das Geldsäckel der Stadt noch voll war. Seit dieser Zeit hatten der vom Aussterben bedrohte Fleckenkauz, der zurückgehende Lachsaufstieg und die Schutzmaßnahmen für den Wald die Finanzressourcen so strapaziert, dass für Luxusdinge wie Kinderbetreuung nichts mehr übrig war. Über zwei Jahre stand der Raum nun schon leer.
Max stand mit verschränkten Armen im Korridor, das Neonlicht schimmerte in seinen Haaren und ließ seine ansonsten immer gebräunte Haut blass erscheinen. So schlecht hatte er nicht mehr ausgesehen, seit er bei seiner Kletterei einmal gut zwölf Meter abgestürzt war. Und damals hatte er zwei blaue Augen und eine aufgeplatzte Lippe gehabt.
Als er sie kommen hörte, blickte er auf und winkte ihnen zu; ein Lächeln konnte er sich nicht abringen. Aber er rückte ein Stück zur Seite, um den beiden Frauen Platz am Fenster zu machen, durch das man den Raum beobachten konnte.
Der ehemalige Kindertagesraum dahinter war relativ klein und rechteckig, mit leuchtend rot und gelb gestrichenen Wänden und Regalen voller Spielsachen, Brettspiele und Bücher. In einer Ecke gab es ein Waschbecken und eine Arbeitsplatte, die vor Jahren sicher für Kunstprojekte und das tägliche Saubermachen genutzt worden waren. Mehrere kleine, von noch kleineren Stühlen umgebene Tische füllten die Mitte des Raums. An der linken Wand befanden sich ein Krankenhausbett und ein paar leere Kinderbettchen. Von den beiden Fenstern ging eines auf den Flur, wo sie gerade standen, das andere, kleinere auf den Parkplatz hinaus. Links von ihnen war der Eingang, eine jetzt verschlossene Metalltür.
Ellie stellte sich dicht neben Max, sodass ihre Schulter seinen Arm berührte. »Erzähl doch mal, Max.«
»Nachdem wir gestern Abend mit den Tests fertig waren, haben wir ihr eine Windel angezogen und sie ins Bett gepackt. Als sie heute Morgen aufgewacht ist, hat sie erst mal komplett durchgedreht. Man kann es nicht anders ausdrücken - sie ist völlig verrückt geworden, hat geschrien, gekreischt, sich auf den Boden geschmissen, sämtliche Lampen in ihrer Reichweite zertrümmert und den Spiegel über dem Waschbecken kaputtgeschlagen. Als wir ihr noch eine Spritze geben wollten, hat sie Carol Rense so gebissen, dass sie geblutet hat, und ist dann unterm Bett verschwunden. Dort ist sie jetzt seit fast einer Stunde. Habt ihr schon irgendwas über sie?«
Ellie schüttelte den Kopf und wandte sich dann an Peanut. »Warum gehst du nicht mal in die Cafeteria und holst was zu essen für sie, irgendwas, was Kinder gerne mögen?«
»Na klar, die Dicken werden immer zum Essenholen rangezogen«, murrte Peanut mit einem dramatischen Seufzer, konnte sich ein Lächeln aber nicht verbeissen. Es machte ihr solchen Spaß, bei dieser Sache an vorderster Front mit dabei zu sein.
Als sie weg war, sagte Max: »Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll, Ellie. So was habe ich noch nie erlebt.«
»Sag mir doch einfach, was du bis jetzt rausgefunden hast.«
»Hmm ... Ich denke, sie ist ungefähr sechs Jahre alt.«
»Aber sie ist so klein.«
»Unterernährung. Außerdem hatte sie in ihrem Leben keinerlei medizinische Versorgung, und ihr Körper weist eine Unmenge Narben auf.«
»Narben?«
»Zum größten Teil kleinere, aber eine sieht richtig schlimm aus. Auf der linken Schulter. Vielleicht von einer Stichwunde.«
»Himmel.«
»Ich hab ihr Blut abgenommen und einen Abstrich im Mund gemacht, um ihre DNA festzustellen. Wenn es nach mir ginge, wäre sie immer noch sediert und würde am Tropf hängen, doch du wolltest schließlich eine Diagnose ...«
»Hat sie etwas gesagt?«
»Nein, ihre Stimmbänder scheinen allerdings intakt zu sein. Ich würde sagen - das ist jetzt natürlich nur eine Spekulation dass sie körperlich in der Lage ist zu sprechen, aber ich kann nicht feststellen, ob sie weiß, wie das geht.«
»Sie kann
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