Wohin das Herz uns trägt
nicht sprechen? Was soll das heißen?«
»Ich weiß bisher nur, dass ihre Schreie unartikuliert und unverständlich sind. Ich hab sie aufgenommen, und wir konnten keine Worte erkennen. Ihre Hirnströme zeigen keine Anomalien. Aber sie könnte taub sein oder unter einer geistigen Behinderung leiden, sie könnte eine Entwicklungsstörung haben oder autistisch sein. Das weiß ich alles nicht. Ich weiß nicht mal, welche Untersuchungen ich anordnen soll, um es festzustellen.«
»Was machen wir jetzt?«
»Erst mal rausfinden, wer sie ist.«
»Oh, danke. Ich meinte allerdings jetzt , in diesem Moment.«
Peanut kam mit einem Tablett auf sie zu. »Guter Anfang«, nickte Max.
Ellie sah sich an, was Peanut ausgesucht hatte: ein Stapel Pfannkuchen, zwei Spiegeleier, eine Waffel mit Erdbeeren und Schlagsahne, ein Glas Milch. Augenblicklich überkam Ellie ein starkes Hungergefühl.
»Ich hole einen Pfleger, der unter das Bett krabbelt und sie ...«, begann Max, aber Peanut unterbrach ihn.
»Stellen wir das Essen doch einfach auf den Tisch«, meinte sie. »Vielleicht ist sie ja merkwürdig, und trotzdem ist sie ein Kind. Kinder tun, was sie tun, auf ihre eigene Art und in ihrem eigenen Tempo. Herrje, man kann ja nicht mal Zweijährige wirklich zum Essen zwingen, und die sind winzig.«
Ellie lächelte ihre Freundin an. »Noch mehr gute Ratschläge?«
»Keine fremden Gesichter mehr. Dich kennt sie, du solltest ihr das Essen bringen. Sag irgendwas Freundliches, aber bleib nicht bei ihr drin. Vielleicht möchte sie beim Essen lieber alleine sein.«
»Danke.« Ellie nahm das Tablett und ging in den farbenfrohen Raum. Hinter ihr fiel die Metalltür ins Schloss. »Hallo, Kleines. Ich bin‘s mal wieder. Hoffentlich hast du mir die Sache mit dem Netz nicht allzu übel genommen.« Behutsam setzte sie einen Fuß vor den anderen und stellte das Tablett auf einen der kleinen Tische. Bei der Bewegung klimperten die Schlüssel an ihrem Gürtel, und sie legte schnell die Hand darüber. »Ich dachte, du hast sicher Hunger.«
Von unter dem Bett kam ein Knurren, bei dem sich Ellie die Nackenhaare sträubten. Sie zermarterte sich den Kopf, um die richtigen Worte zu finden, aber es fiel ihr nichts Passendes ein, und schließlich ging sie rückwärts wieder aus dem Zimmer. Mit einem lauten Klicken fiel die Tür hinter ihr ins Schloss.
Auf dem Korridor stellte sie sich neben Max ans Fenster. »Ob sie wohl rauskommt und was isst?«
Er schlug das Krankenblatt des Mädchens auf und zückte den Stift. »Vermutlich werden wir das bald erfahren.«
Schweigend standen sie da und starrten in das Zimmer, das leer zu sein schien.
Ein paar Minuten später kam eine winzige Hand unter dem Bett zum Vorschein.
»Na, seht euch das an!«, rief Peanut.
Die Zeit verging.
Schließlich tauchte ein dunkler Haarschopf auf. Langsam kroch das Mädchen aus seinem Versteck. Als die Kleine zum Fenster emporblickte und dort die drei Erwachsenen stehen sah, blähte sie heftig die Nasenflügel.
Aber dann war sie im Nu beim Tisch, wo sie, dicht über das Essen gebeugt, erneut erstarrte und argwöhnisch daran schnupperte. Mit einer blitzschnellen Bewegung schleuderte sie die Sahne auf den Boden, machte sich jedoch über die Pfannkuchen und Eier her. Was sie von den Waffeln und dem Sirup halten sollte, wusste sie offenbar nicht, denn sie ignorierte beides, schnappte sich allerdings die Erdbeeren und verschwand mit ihnen wieder in ihrem Versteck unter dem Bett. Der ganze Vorgang dauerte nicht mal eine Minute.
»Und ich dachte immer, meine Kinder hätten schlechte Tischmanieren«, stellte Peanut trocken fest. »Die Kleine isst ja wie ein wildes Tier.«
»Wir brauchen einen Spezialisten«, meinte Max leise.
»Ich hab bereits die Behörden verständigt«, antwortete Ellie. »Außerdem das FBI und das Zentrum für vermisste Kinder. Aber die brauchen allesamt eine Identität oder ein Verbrechen, um tätig werden zu können. Ich weiß nicht, wie wir rauskriegen sollen, wer sie ist, wenn sie nicht spricht.«
»Ich meine nicht solche Spezialisten. Sie braucht einen Psychologen.«
Peanut sog hörbar die Luft ein. »Dass wir daran nicht gedacht haben! Ich wüsste da spontan eine Kandidatin, die wäre ideal.«
»Wer?«, fragte Max stirnrunzelnd.
Ellie sah Peanut an. »Nein, so was würde sie nie machen. Ihre Klienten zahlen ihr zweihundert Dollar die Sitzung.«
»Früher vielleicht. Aber das hat sich jetzt garantiert geändert.«
»Qualifiziert wäre sie allemal dafür,
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