Wohin der Wind uns trägt
bin ich aufgewacht und bekam Angst, ich könnte dich nie wieder finden. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Dabei habe ich mich in Ausreden geflüchtet, meinen Zustand auf Überarbeitung oder die Nervosität vor der Hochzeit geschoben und mir eingeredet, es würde sich schon wieder geben. Aber das tat es nicht.« Er rutschte auf seinem Sitz herum und sah sie an. »Dann habe ich dich in Ascot gesehen, strahlend vor Glück, in alten Schlabberjeans, einem T-Shirt und mit Schlamm im Gesicht. Du hast mit einem Pferd gesprochen. Da ist mir zum ersten Mal so richtig klar geworden, dass ich hoffnungslos und bis über beide Ohren in dich verliebt bin.«
Er hielt inne.
»Du weißt nicht, wie schwer es mir gefallen ist, dich an diesem Tag einfach stehen zu lassen.« Fest umfasste er Jos Hand. »Am nächsten Tag habe ich Lelia mitgeteilt, dass es aus ist. Das war ziemlich scheußlich. Jo, du bist wunderschön. Ich liebe dich über alles. Bitte verschwinde nicht wieder.« Er küsste sie noch einmal leidenschaftlich.
»Ich war total verrückt nach dir und dachte, du hättest mich überhaupt nicht wahrgenommen, geschweige denn, dass ich dir etwas bedeuten könnte«, platzte sie heraus, sobald sich ihre Lippen, noch prickelnd vom Kuss, voneinander gelöst hatten.
Bei ihren Worten leuchteten Simons Augen auf.
»Ich habe kaum gewagt, zu hoffen … Soll das heißen, dass du meine Gefühle erwiderst?«
Jo nickte.
Dann lag sie erneut in seinen Armen. Ihre Lippen berührten sich, ihre Zungen ertasteten einander, und sie genoss seine Liebkosungen, als er ihr mit den Fingern durchs Haar fuhr und ihre so sorgfältig gebügelte Bluse zerdrückte. Sie küsste ihn mit all ihrer aufgestauten Leidenschaft und Sehnsucht.
»Ich hätte es nie für möglich gehalten, so glücklich sein zu können«, stieß Jo schließlich lachend hervor, zupfte ihre Bluse zurecht und strich sich das Haar glatt.
Simon, der es noch immer nicht fassen konnte, antwortete nicht sofort.
»Tut mir leid, dass ich deine Bluse und deine Haare zerwühlt habe«, sagte er reumütig.
»Wen kümmert das?«, jubelte Jo und küsste ihn wieder, bis sie sich atemlos voneinander trennten.
»Ich sterbe vor Hunger«, verkündete Simon fröhlich. »Jetzt genehmigen wir uns das Abendessen, das ich dir versprochen hatte.«
Jo steckte ihre Bluse in den Hosenbund und warf einen Blick in den Spiegel der Sonnenblende.
»Das mit dem Lippenstift hätte ich mir sparen können«, meinte sie lächelnd und betrachtete erstaunt ihr Spiegelbild. Obwohl sie ihrem Äußeren meist kritisch gegenüberstand, entging ihr nicht, wie weich ihr Gesicht geworden war.
»Den kannst du in Zukunft gleich weglassen, denn ich habe vor, dich häufiger zu küssen«, erwiderte Simon und ließ den Wagen an. Draußen dämmerte es.
»Wie hast du mich gefunden?«, fragte Jo.
Sie saßen im Plough & Bell an einem gemütlichen Ecktisch. Jo hatte ein Glas Limonade, Simon ein einheimisches Bier vor sich stehen. Die Gaststube des heimeligen Pubs im elisabethanischen Stil wurde von antiken Paraffinlampen auf jedem der geschnitzten Holztische erleuchtet, was dem Raum mit der niedrigen Decke etwas Altmodisches und Behagliches gab. An der einen Wand hing ein alter Pflug, an der anderen ein Joch, und von den Deckenbalken baumelten weitere altertümliche landwirtschaftliche Geräte, Schwerter und Sensen.
»Du machst es einem Mann nicht gerade leicht«, entgegnete Simon, nahm einen Schluck aus seinem dicken Glaskrug, lehnte sich zurück und sah zu, wie sich das Lampenlicht in Jos Augen spiegelte. »Wahrscheinlich habe ich jeden Stall zwischen hier und York abgesucht. Ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, als ich auf Orion stieß.«
Er legte den Arm um sie, drückte sie an sich und konnte kaum fassen, dass er schließlich doch fündig geworden war.
»Häufig glaubt man, einen Menschen zu kennen, obwohl das gar nicht stimmt«, sprach er zögernd weiter. »Ich wusste, dass es nicht leicht sein würde, Schluss mit Lelia zu machen. Aber ich dachte, sie wäre so vernünftig einzusehen, dass eine Trennung vor der Hochzeit besser ist, als ein bitteres Erwachen danach. Leider hat sie das anders gesehen. Zuerst hat sie bitterlich geweint und beteuert, ich bräuchte sie mehr als umgekehrt. Dann hat sie mit Selbstmord gedroht, falls die Hochzeit nicht stattfinden sollte. Sie sagte, diese Demütigung könne sie nicht ertragen. Ich glaube nicht, dass sie das wirklich gemacht hätte, trotzdem hat sie mir Angst eingejagt.
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