Wohin der Wind uns trägt
Pete. Sie wurde traurig und hatte ein schlechtes Gewissen. Eigentlich hätte es Winks und nicht Pete sein sollen, der ihr all das berichtete. Wenn er nicht durch ihre Schuld seine Stelle verloren hätte, würde er in den Ställen weiter nach dem Rechten sehen. Fast rechnete sie damit, dass er plötzlich aus dem Nichts hinter ihr und Pete auftauchte, um sie wie früher auf den Arm zu nehmen. Der schreckliche Tag, an dem ihr Vater ihm gekündigt hatte, stand ihr noch allzu deutlich vor Augen.
»Also gut. Als Erstes werde ich mich bei der Australischen Rennvereinigung als Dads verantwortliche Stallmeisterin anmelden, damit ich den Stall weiterführen kann, bis es ihm besser geht«, sagte sie zu Pete und Gloria. »Das erledigen wir am besten sofort, Gloria. Dazu sind nur ein paar Formulare und Anrufe nötig. So behalten wir die Zulassung, weiter Pferde zu trainieren. Morgen fange ich mit der Arbeit auf der Rennbahn an. Du bleibst doch als mein Assistent, bis ich besser Bescheid weiß, oder?«, wollte Jo besorgt von Pete wissen. »Du kennst diesen Rennstall wie deine Westentasche.«
»Klar. Allerdings musst du dich auf Gebrummel von den älteren Stallhelfern gefasst machen«, erwiderte Pete, dem die Begeisterung ins Gesicht geschrieben stand.
»Darum kümmern wir uns, wenn es so weit ist. Was meinst du, Gloria? Glaubst du, du kommst mit dieser Lösung klar, wenn ich dafür verspreche, nicht zu oft herumzuschreien?«
»Da kannst du Gift darauf nehmen, meine Liebe. Du bist die Tochter deines Vaters«, antwortete Gloria bewundernd und trank einen Schluck Tee. Da fiel ihr Blick auf Jos Verlobungsring.
»Ich wusste nicht, dass du verlobt bist«, rief sie.
Jos Tasse blieb auf halbem Wege zum Mund stehen, und sie bekam Sehnsucht nach Simon. Es war ein anstrengender Vormittag gewesen.
»Ja, richtig«, entgegnete sie leise. »Er heißt Simon, und wir werden heiraten, sobald Dad wieder einigermaßen auf dem Damm ist. Ich hatte noch nicht einmal Gelegenheit, es Mum zu erzählen. In dem ganzen Tohuwabohu ist es irgendwie untergegangen.«
»Nun, ich habe auch eine Neuigkeit. Sharon und ich haben uns vor zwei Wochen ebenfalls verlobt«, verkündete Pete stolz.
»Herzlichen Glückwunsch«, gratulierte Jo.
Zum ersten Mal an diesem Tag konnten sie alle lächeln.
17
Jo fühlte sich, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan, als einen Rennstall zu leiten. Die australische Rennvereinigung hatte ihr die Lizenz als Stallmeisterin erteilt, und sämtliche Mitarbeiter der Kingsford Lodge respektierten ihre Gelassenheit, ihr Selbstbewusstsein und ihren Fleiß. Niemand nahm ihr übel, dass sie sich in Bereiche vorwagte, die eigentlich tabu für Frauen waren.
Jo hatte alle Hände voll zu tun und hetzte zwischen den Pferden, deren Besitzern, dem Krankenhaus und ihrer Mutter, die sich Hilfe suchend an sie klammerte wie ein verängstigtes Kind, hin und her. Simons Stimme am Telefon und seine häufigen Briefe waren für sie die größten Lichtblicke jener Wochen.
Drei Wochen nach Jos Rückkehr zeigte Charlie zur allgemeinen Erleichterung die ersten Anzeichen dafür, dass er aus dem Koma erwachen würde. Die Lebensgefahr schien gebannt. Anfangs geschah dies so unmerklich, dass sie alle zunächst an Einbildung glaubten, aber als die Ärzte endlich das Beatmungsgerät abschalten konnten und Charlie wieder ohne fremde Hilfe atmete, fielen Jo und Nina einander gerührt im Krankenhauswartezimmer in die Arme. Bertie, der nicht zu Gefühlsausbrüchen neigte, umarmte Mutter und Schwester rasch und begann dann, Jo zu hänseln, um seine Erleichterung zu verbergen. Zum ersten Mal seit dem Unglück schlief Nina wieder acht Stunden durch.
Einige Tage später jedoch mussten sie den nächsten Schicksalsschlag verkraften. Die Ärzte teilten ihnen nach einer Reihe von Untersuchungen mit, dass Charlie während des Unfalls einen Schlaganfall erlitten habe, gelähmt sei und nicht mehr sprechen könne. Das Ausmaß der Hirnschädigung und die endgültigen Folgen stünden noch nicht fest. Nina und Jo waren wie vom Donner gerührt, und Bertie flüchtete sich auf die Rennbahn, wo er eine ziemlich hohe Summe verlor.
Jo musste gegen ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit ankämpfen, als sie eines sonnigen Nachmittags neben ihrem Vater saß. Gestützt von Kissen, lag er in seinem Bett in der Pflegeabteilung und starrte ausdruckslos und ohne sich zu rühren ins Leere, während Jo verbissen fröhlich auf ihn einredete. Auf ihren Rat hin hatte Nina sich
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