Wohin der Wind uns trägt
wollten, wann Charlie wieder einsatzbereit sein würde. Es wurmte Jo zwar, dass Petes Wort häufig mehr Gewicht hatte als ihres, nur weil sie eine Frau war, doch sie ließ sich davon nicht unterkriegen, da es ihr vor allem auf einen reibungslosen Ablauf ankam. Außerdem hatte Pete viele Freunde, die ihm alles zutrugen, was sich in der Welt des Rennsports tat.
»Ich kann kaum glauben, dass alles so prima klappt«, sagte Jo bei einem ihrer regelmäßigen Telefonate aufgeregt zu Simon. »Aber ich vermisse dich. Ich wünschte, ich könnte durch die Telefonleitung kriechen und dir in die Arme fallen.«
Dann erzählte sie ihm, Charlies Neurochirurg habe Nina vorsichtig Hoffnungen gemacht. Obwohl seine rechte Körperhälfte sich wohl nie wieder vollständig erholen würde, könnte er mit der richtigen Physiotherapie und harter Arbeit den Großteil seiner Beweglichkeit zurückgewinnen.
»Also könnte ich Ostern wieder in England sein, wenn nichts dazwischenkommt«, meinte sie zuversichtlich.
Simon berichtete, Neddy sei wieder von seiner Bronchitis genesen, und nachdem sie noch eine Weile geplaudert hatten, legte Jo widerstrebend auf. Auf Dauer waren Ferngespräche einfach keine Lösung, denn es gab leider zu viele Dinge, die man am Telefon zu erzählen vergaß.
Charlie war zwar noch ziemlich gebrechlich, durfte die Weihnachtsfeiertage jedoch zu Hause verbringen, was trotz der allgemeinen Freude eine ernüchternde Erfahrung war. Obwohl Jo Simon sehr vermisste, gaben sich alle Mühe, das Fest zu etwas Besonderem zu machen, auch wenn Charlie noch immer nicht sprechen konnte. Nina war mit der Situation völlig überfordert, kämpfte mit den Tränen und stürzte rasch drei Gläser Wein hinunter, sodass sie bei Charlies Ankunft bereits leicht beschwipst war.
Nachdem Bertie und ein Pfleger Charlie ins Haus gebracht hatten, wurde er in einer kühlen Ecke in einen Sessel unter den Ventilator gesetzt. Elaine, die Charlie einige Male im Krankenhaus besucht hatte, war mit Wayne aus Dublin Park angereist, und Jack und Joan Ellis gesellten sich zum Weihnachtsessen zu ihnen. Sie ließen Knallbonbons platzen, setzten sich bunte Papierhüte auf, rissen alberne Witze und versuchten so zu tun, als wäre alles in bester Ordnung.
Kurz bevor der Weihnachtspudding aufgetragen wurde – Jo hatte gerade eine besonders komische Begebenheit aus dem Stall erzählt –, schlug Charlie mit dem Löffel auf den Tisch, deutete zittrig damit auf Jo und murmelte etwas, das wie »Geh-geh-weg« klang. Betretenes Schweigen entstand, und Jo errötete heftig. Ihr Vater hatte ihr nach all dieser Zeit doch sicher verziehen. Sie sprang auf und holte Bleistift und Papier, damit er aufschreiben konnte, was er zu sagen hatte, aber er brachte nur ein paar Schlangenlinien zustande.
Schließlich ließ er den Stift fallen, starrte Jo eindringlich an und wiederholte einige Male dieselbe unverständliche Silbenfolge. Nina tätschelte ihrem Mann aufgeregt die Hand, nahm ihm den Löffel ab und lächelte Jo gezwungen zu. Charlie schien sich wieder zu beruhigen, und die anderen kehrten zu ihrem Gespräch zurück. Doch während der restlichen Mahlzeit herrschte eine Anspannung, die sich nicht mehr legte.
»Vielleicht ist unser alter Herr verrückt geworden«, flüsterte Bertie Jo später auf der Veranda zu.
Entrüstet schüttelte Jo den Kopf.
»Ich denke, er will uns etwas sagen. Wir sollten uns freuen, dass er überhaupt einen Ton herausgebracht hat, auch wenn man nichts versteht«, erwiderte sie mit Nachdruck und bückte sich zu Sam hinunter, der hechelnd in der Hitze lag.
Der Hund hatte sich sehr über ihre Rückkehr gefreut und wedelte heftig mit dem Schwanz, als sie ihm den Bauch kraulte. Doch Jo konnte nicht verhindern, dass sie sich Sorgen machte. Da läutete das Telefon. Simon war am Apparat.
»Fröhliche Weihnachten, mein Liebling. Hat mein Geschenk dir gefallen?« Er hatte ihr einen wunderschönen Bildband über Norfolk geschenkt und die Seite über Burnham Overy Staithe mit einem Lesezeichen eingemerkt.
»Ich war ganz begeistert«, erwiderte Jo und fühlte sich beim Klang seiner Stimme viel besser. »Auch dir fröhliche Weihnachten, mein Schatz. Ich vermisse dich wahnsinnig. Ich weiß, ich habe versprochen, zu Ostern wieder in England zu sein, aber ich fürchte, da war ich zu optimistisch.«
»Zermartere dir nicht das Hirn deswegen, Jo. Schließlich haben wir noch den Rest unseres Lebens vor uns. Was machen da ein paar Monate?«, antwortete Simon
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