Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wohin der Wind uns trägt

Wohin der Wind uns trägt

Titel: Wohin der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne McCullagh Rennie
Vom Netzwerk:
Archie schickte der Himmel, sagte sich Jo gut gelaunt.
    Obwohl sie wegen der von Hawk verschuldeten Abwanderungen und der Gerüchte, dass Charlie nicht mehr ganz richtig im Kopf war, weniger Pferde auszubilden hatten als früher, gewannen ihre verbliebenen Schützlinge nahezu jedes Rennen. Allerdings war das Verbreiten übler Nachrede nicht das einzige Problem, das auf Hawks Konto ging. Weil Hawk immer seltener aufgefordert worden war, in einem Rennen zu starten, hatte er Charlies Angebot angenommen, als Zeitnehmer zu fungieren und die Zeit der Pferde bei der Bahnarbeit mitzustoppen. Da Jo ihm gekündigt hatte, musste sie nun einen Ersatzmann für ihn finden. Eigentlich war es ihr als nicht allzu schwierig vorgekommen, nur dazustehen, die Zeit der von ihr aufgerufenen Pferde zu stoppen und die Ergebnisse in eine Liste einzutragen. Doch wie Jo bald feststellen musste, war es gar nicht so einfach, einen zuverlässigen Zeitnehmer aufzutreiben. Sie hatte es mit einigen Bewerbern versucht, die sich als unfähig und überfordert erwiesen hatten, und in ihrer Verzweiflung sogar einige Male Gloria um ihre Mitarbeit gebeten.
    »Dafür findet sich bestimmt auch eine Lösung«, sagte sie sich mit mehr Zuversicht, als sie eigentlich empfand, und strich sich das Haar aus dem Gesicht.
    Sie wich einer lärmenden Horde von Schulkindern auf einem Ausflug aus, die sich alle am Bug drängten. Plötzlich fiel ihr Blick auf eine vertraute Gestalt. Zunächst nicht sicher, ob sie sich geirrt hatte, näherte sie sich dem alten Mann, und im nächsten Moment breitete sich ein freudiges Lächeln auf ihrem Gesicht aus.
    »Winks«, jubelte sie und fiel ihm um den Hals, bevor er wusste, wie ihm geschah.
    Vor Schreck ließ er seine Papiertüte mit belegten Broten fallen. Jo fing sie rasch auf, bevor sie unter die Füße der tobenden Schulkinder gerieten, und legte sie ihm wieder auf den Schoß. Winks war alt geworden, sein Gesicht faltig, seine Hände waren knotig und zitterten. Doch seine Augen funkelten wach wie zu seinen besten Zeiten.
    »Jo! Heiliger Strohsack! Ich hätte nicht gedacht, dass wir zwei uns noch einmal wiedersehen«, rief er strahlend.
    »Man muss immer aufpassen, wen man auf einer Fähre so alles trifft«, witzelte Jo. »Wie geht es dir?«
    Es versetzte ihr einen Stich ins Herz, als sie sich an ihre letzte Begegnung und an ihr schlechtes Gewissen erinnerte, weil er ihretwegen seine Stelle verloren hatte. Außerdem wurde ihr klar, dass sie ihn noch immer vermisste.
    »Wirklich ausgezeichnet«, erwiderte Winks zögernd. Seine hellblauen Augen blickten traurig. »Das mit deinem Vater tut mir leid. Er war zwar ein Mensch, der keine Fehler duldete, aber ein ausgezeichneter Trainer. Wie ich höre, schlägst du dich auch recht wacker, meine Kleine, obwohl du ein Mädchen bist«, fügte er mit einem schiefen Grinsen hinzu.
    Er nahm die Schirmmütze ab, kratzte sich den kahlen Schädel, und setzte die Mütze wieder auf.
    »Es wird allmählich. Dads Zustand bessert sich, und den Pferden ist mein Geschlecht offenbar gleichgültig«, entgegnete Jo schmunzelnd, womit sie die Worte wiedergab, die sie selbst so oft von dem alten Mann gehört hatte.
    Während die Fähre weiter in Richtung Circular Quay tuckerte, unterhielten sie sich. Winks berichtete, er habe stundenweise als Gärtner und Mädchen für alles gearbeitet. Heute sei er unterwegs zu einem Treffen mit einem Freund, der ihm eine Stelle als Reinigungskraft auf einer Rennbahn in Aussicht gestellt habe.
    »Die Pferde lassen mich einfach nicht los«, kicherte er.
    Jo, die wusste, wie stolz Winks war, wandte sich ab, damit er ihr Mitleid nicht sah. Dabei fragte sie sich, wie sie ihren Fehler von damals wiedergutmachen konnte. Als ihr die Lösung einfiel, hätte sie beinahe laut losgelacht, so sehr lag diese auf der Hand.
    »Winks, hättest du nicht Lust, bei mir als Zeitnehmer anzufangen?«, meinte sie aufgeregt.
    Die Fähre drosselte bereits das Tempo, sie befanden sich kurz vor dem Anlegesteg. Winks machte Anstalten auszusteigen.
    »Du kannst doch sicher keinen Tattergreis wie mich gebrauchen«, sagte er leise. Jo packte ihn am Arm und wiederholte, diesmal eindringlicher, ihr Angebot.
    »Ich bin verzweifelt, Winks. Mit einem Dutzend Bewerbern habe ich es bereits versucht, doch ganz gleich, ob männlich oder weiblich, es klappt einfach nicht. Entweder sind sie geistig überfordert, kommen zu spät oder erscheinen überhaupt nicht zum Dienst. Bei dir brauche ich mir keine Sorgen zu

Weitere Kostenlose Bücher