Wohin der Wind uns trägt
sehr zur Erleichterung der vor Verlegenheit hochroten Pferdepflegerin.
Später auf der Bahn sah Jo ihr Vertrauen durch seinen kräftigen Schritt und seine Anmut bestätigt. Das Pferd hatte sie nur dreitausend Dollar gekostet und entwickelte sich prächtig.
»Ich weiß, dass ich es schaffe, wenn ich erst dieses ganze Durcheinander hinter mir habe.« Mit hängenden Schultern stemmte Jo die Füße gegen die Dielenbretter und zerrte verzweifelt an den Fransen der indischen Baumwolldecke. Die Hollywoodschaukel ächzte.
Jo war nun fünfundzwanzig Jahre alt, und es schien sich alles gegen sie verschworen zu haben. Der Kontostand des Rennstalls sank ins Bodenlose, und ihre größte – wenn auch unausgesprochene – Angst war, dass das Vertrauen in ihren Vater und Geduld vielleicht nicht genug sein könnten. Doch was blieb ihr anderes übrig? Die Hitze war drückend, und Jo lief unter ihrer Baumwollbluse der Schweiß herunter. Die Schwüle schien ihr die letzte Kraft zu rauben. Bertie drängte Nina ständig zum Verkauf, und wenn sich das Blatt nicht bald wendete, würde Jo ihr Scheitern eingestehen müssen.
Ein Kakadu mit schwefelgelbem Kamm kreischte im dunstig blauen Himmel. Da Jo trotz der Hitze einfach nicht stillsitzen konnte, ging sie in Erwartung neuer Katastrophenmeldungen zum Briefkasten, um nach der Post zu sehen. Gelangweilt blätterte sie die Werbung und die ausländischen Zeitschriften durch, die ihre Mutter abonniert hatte. Da bemerkte sie die unverkennbare Handschrift auf einem braunen Papierpäckchen ganz unten in dem Stapel und ihr blieb fast das Herz stehen. Erschrocken und ungläubig rannte sie zurück zum Haus, wo sie die übrige Post auf den Küchentisch warf. Dann riss sie das dicke Päckchen auf und zog ein Manuskript mit der Aufschrift »Unkorrigierte Druckfahnen« heraus. Dabei lagen ein Umschlag und ein Bucheinband. Atemlos betrachtete Jo den Einband, auf dem ein einsamer Vogel sich über den Sümpfen von Norfolk in die Lüfte erhob. Der Austernfischer von Simon Gordon lautete der Titel. Aufgeregt versuchte sie, den Umschlag zu öffnen, doch ihre Hände bebten so sehr, dass er auf dem Boden landete. Der Magen krampfte sich ihr zusammen, als sie ihn aufhob und aufriss. Ihr Blick fiel auf Simons vertraute Handschrift.
Meine geliebte Jo,
inzwischen sind seit unserem Abschied einige Jahre vergangen, und obwohl ich mich von dir ferngehalten habe, ist mir nicht entgangen, wie wunderbar du dich entwickelt hast. Ich habe immer auf deinen Anruf gehofft, aber ich hatte dir ja zugesichert, dir Zeit zu lassen, und dieses Versprechen werde ich auch halten. Ich habe mich einmal bei dir gemeldet, doch du hast mich nie zurückgerufen.
Jo traute ihren Augen beim Lesen dieser Zeilen nicht. Was für ein Anruf? Warum schrieb er ihr jetzt plötzlich? Weshalb hatte er nie auf ihre Anrufe reagiert? Die Wörter verschwammen ihr vor den Augen, als sie weiterlas, und sie musste sich immer wieder die Tränen wegwischen.
Während Du im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehst, habe ich eher zurückgezogen gelebt. Bei meiner Rückkehr nach Hause habe ich mich gefragt, wie es ohne Dich weitergehen soll. Ich wollte nur noch davonlaufen, was ich schließlich auch getan habe. Ich weiß, dass es feige von mir war, aber ich konnte nicht anders. Meine Familie hat erstaunlich verständnisvoll reagiert. Ich glaube, zumindest Mum sah ein, dass ich herausfinden musste, wer ich bin und was ich mit meinem Leben anfangen will, auch wenn es ihr sicher nicht leichtgefallen ist. Ich hatte schon immer mit dem Gedanken gespielt, Schriftsteller zu werden, doch erst nach unserer Trennung wurde der Drang zu schreiben übermächtig. Es heißt, dass das Schreiben eine befreiende Wirkung haben kann, und bei mir traf das zu. Ich glaube, der Austernfischer hat verhindert, dass ich den Verstand verloren habe.
Rasch warf Jo einen Blick auf den Bucheinband. Inzwischen strömten ihr die Tränen übers Gesicht. In Gedanken lag sie wieder in Simons Armen mitten im Lavendel, hörte die Rufe der Vögel, spürte den sanften, salzigen Wind an den Wangen und fühlte seinen warmen Körper an ihrem. Nie würde sie den unverkennbaren Schrei des Austernfischers vergessen, und auch nicht Simons belegte Stimme, als er ihr von seiner Liebe zu diesem Fleckchen Erde erzählte.
Ich wollte, dass Du den Austernfischer liest, bevor die Welt das Buch zu sehen bekommt, meine geliebte Jo. Sicher hast Du schon am Titel erkannt, dass es die Geschichte unserer Liebe
Weitere Kostenlose Bücher