Wohin der Wind uns trägt
gestorben.
Von Sid hatte Charlie sein Geschick im Umgang mit Pferden sowie den Ehrgeiz geerbt, die Kingsford-Dynastie fortzusetzen. Obwohl er Jos Talent erkannte, war ihm mehr daran gelegen gewesen, Ricks Fähigkeiten zu fördern. Ach, wie er den Jungen vermisste! Seit dem Tod seines Sohnes war er sich unschlüssig, was Jo betraf. Manchmal spielte er mit dem Gedanken, nachzugeben und sie wieder Rennpferde reiten zu lassen. Vielleicht würde sie so leichter über Ricks Tod hinwegkommen. Dann wieder schlug seine Stimmung ins Gegenteil um, und er befürchtete, sie auf dieselbe Weise zu verlieren wie Rick. Jo war begabt, daran bestand kein Zweifel. Ihre Erfolge mit Magic Belle hatten selbst ihn erstaunt. In Gegenwart von Pferden fühlte sie sich glücklich, das merkte er ihr deutlich an.
Während Charlie sich durch den Berufsverkehr schlängelte, musterte er Jos nachdenkliche Miene und beschloss, sich Ninas Meinung zu eigen zu machen. Für Jo war ein für alle Mal Schluss mit der Bahnarbeit. Nina wollte es so, und er würde ihre Entscheidung respektieren. Charlie, der seine Frau und seine Tochter über alles liebte, hatte Angst, dass Nina den Anforderungen nicht gewachsen sein könnte. In letzter Zeit wurde sie immer nervöser und reizbarer und brach beim geringsten Anlass in Tränen aus. Vielleicht war es Zeit für eine Urlaubsreise. Er nahm sich vor, mit Gloria, seiner Sekretärin, darüber zu sprechen.
»Ich finde, Mum hat eine kleine Pause verdient. Zurzeit ist sie ein bisschen angestrengt und braucht dringend Abstand. Kommen wir beide auch allein zurecht, wenn ich alles mit Jackie regle?«
Wieder nickte Jo und betrachtete ihren Vater, der lässig mit einer Hand das Auto lenkte. Trotz seiner vierundvierzig Jahre war er ein gut aussehender Mann. Wie immer trug er einen eleganten maßgeschneiderten Anzug nach europäischem Schnitt. Seine Krawatte war gekonnt gebunden, und aus seiner Brusttasche lugte ein locker gefaltetes, seidenes Einstecktuch hervor.
»Vermisst du Rick auch so?«, fragte Jo, als hätte sie seine Gedanken gelesen.
»Natürlich, mein Kleines. Warum?«
»Weil niemand mehr über ihn spricht, nicht einmal du und Mum. Es ist, als hätte es ihn nie gegeben«, flüsterte sie.
Charlie drückte Jos Hand, und Tränen traten ihm in die Augen.
»Es hat ihn gegeben, Kleines. Aber wir müssen weiterleben.« Während er den Wagen geschickt um eine Kurve lenkte, wurde ihm klar, wie sehr Jo unter Anspannung stand.
»Was für Märchen hat der alte Winks dir denn heute aufgetischt?«, witzelte er, um sich von den Gedanken an Rick abzulenken. Er hatte Mitleid mit seiner Tochter.
Jo lehnte sich in ihrem Sitz zurück. Wenigstens hatte sie es geschafft, ihren Bruder zu erwähnen, ohne dass dadurch betretenes Schweigen entstand.
Mitte August wurde Jo immer unruhiger. Inzwischen waren die Fäden ihrer Stirnwunde gezogen worden, und sie heilte gut. Ihre Schulter schmerzte nur noch gelegentlich, und obwohl der Arzt ihr geraten hatte, sicherheitshalber noch einen Monat zu warten, hielt sie sich für ausreichend wiederhergestellt, um sich in den Sattel zu wagen. Am meisten beschäftigte Jo der Gedanke, dass in nur zwei Wochen das Martha-Wellbourne-Turnier stattfinden sollte. Und sie war bis jetzt noch nicht wieder auf Fizzy geritten.
Das Martha-Wellbourne-Turnier war die wichtigste Reiterprüfung in der ganzen Region. Man konnte dabei nicht nur die höchste bei einem eintägigen Wettbewerb mögliche Punktzahl erreichen; es galt auch als die anspruchsvollste Prüfung, die der Ponyclub ausrichtete. Sieger früherer Jahre hatten Australien später bei den Olympischen Spielen vertreten. Im letzten Jahr hatte Jo den Sieg um zwei Punkte verfehlt, denn Fizzy hatte zweimal vor dem Wassergraben gescheut und sie dadurch wertvolle Sekunden gekostet.
Immer wieder versuchte sie, sich einzureden, dass sie es schon schaffen würde. Sie hatte vollstes Vertrauen in Fizzys Fähigkeiten und nahm sich jeden Nachmittag fest vor, endlich auf seinen Rücken zu steigen. Sie sagte sich, dass heute endlich der Tag sein würde – nur um festzustellen, dass sie wieder der Mut verließ, sobald sie sich den Ställen näherte. Auf dem Rückweg vom Arzt erwähnte sie diese Angst gegenüber ihrer Mutter.
»Am besten gewöhnst du dich an den Gedanken, dass der Ponyclub für dich gestorben ist, bis Dr. Brunswick deine Schulter für völlig geheilt erklärt hat«, beschied Nina sie.
Sie hatte kein Verständnis für die Befürchtungen ihrer Tochter
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