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Wohin der Wind uns trägt

Wohin der Wind uns trägt

Titel: Wohin der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne McCullagh Rennie
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darauf verwettet, dass sein Sohn etwas von ihm wollte. »Offen gestanden möchte ich dich um einen großen Gefallen bitten, Dad«, begann Bertie etwas überhastet. Jo bemerkte den angestrengten Zug um seinen Mund und den ängstlichen Blick. »Ich bräuchte einen Vorschuss auf meinen monatlichen Scheck.«
    Er errötete bis zu den Haarwurzeln, und sein Herz klopfte, denn er wagte nicht, seinem Vater zu gestehen, dass er sich betrunken und in einer Nacht über dreihundert Dollar am Kartentisch verloren hatte. Und um das Maß vollzumachen, kümmerte er sich am nächsten Tag weder um sein leeres Bankkonto noch um die Warnungen seines Vaters, niemals Schuldscheine auszustellen, und hatte sich weitere zweihundert Dollar geliehen, um bei den Rennen in Warwick Farm auf ein Pferd zu setzen.
    »Du wirst dir doch nicht etwa diese Rostlaube kaufen, von der du erzählt hast?«, mischte Jo sich ein.
    Sie tänzelte, an einem Apfel knabbernd, im Zimmer umher, fest dazu entschlossen, sich von Berties Desinteresse nicht die Vorfreude auf ihren Besuch in Dublin Farm verderben zu lassen.
    »Hör doch mit diesem nervigen Herumgehopse auf, Jo«, schalt Nina. »Natürlich gibt Dad dir einen Vorschuss auf deine Monatszahlung, nicht wahr, Charlie? Du siehst so mager aus, Bertie, mein Schatz. Geben sie dir im College nicht genug zu essen?«
    »Aber ja doch«, entgegnete Bertie, der dank der Unterstützung seiner Mutter neuen Mut fasste. »Könntest du mir nicht gleich das Geld für zwei Monate geben, Dad?« Winzige Schweißperlen standen ihm auf der Oberlippe, und er wischte sie rasch mit dem Handrücken weg.
    »Am besten erzählst du mir die ganze Geschichte, mein Sohn«, erwiderte Charlie streng und bedeutete Bertie, ihm in sein Arbeitszimmer zu folgen.
    Auf einmal bekam Jo Mitleid mit ihrem großen Bruder. Bei den Worten seines Vaters war seine großspurige Art plötzlich wie weggeblasen gewesen, und er sah aus wie ein kleiner Junge, den man bei einer Riesendummheit erwischt hatte. Sogar seine Ohren waren dunkelrot angelaufen.
    Bertie war ein verschlossener Mensch, der seine Gefühle nicht zeigte. Seine einzige Freude bestand darin, mit vollen Händen Geld auszugeben. Schon als Kind hatte er es geschafft, Nina stets das teuerste Spielzeug abzubetteln, bis Charlie diesem Treiben einen Riegel vorgeschoben hatte.
    Nach dem Tod eines Freundes vor zwei Jahren war Bertie dann ausgeflippt. Er trank und schmiss mit Geld um sich – alles auf Kosten seines Vaters – und riskierte damit seine Zulassung zum Studium. Ricks Tod hatte ihn ebenfalls tief getroffen; er war nur nicht in der Lage, das zu zeigen. Inzwischen bereute er tief, dass er eine so hohe Summe beim Kartenspielen und auf der Rennbahn verloren hatte. Doch gleichzeitig hoffte er im Innersten seines Herzens, dass er nach Ricks Tod zum Lieblingssohn seines Vaters aufrücken würde.
    Bertie schluckte, als die Tür des Arbeitszimmers hinter ihm ins Schloss fiel. Nun konnte seine nachsichtige Mutter ihm nicht mehr helfen, und er würde sich ganz allein der Standpauke stellen müssen.
    Im Wintergarten räumte Jackie unterdessen das schmutzige Geschirr ab und eilte zur Tür, weil es geläutet hatte.
    »Das ist bestimmt Dianne«, jubelte Jo beim Klang der Türglocke und folgte Jackie hastig, froh, der angespannten Stimmung entrinnen zu können.
    Ein paar Tage später war Jo, die Koffer voller Schulbücher, auf dem Weg nach Dublin Park. Widerstreitende Gefühle bewegten sie, als der von Charlies Chauffeur gesteuerte Wagen mit ihr und Sam an Bord an einem frühen Nachmittag in der letzten Augustwoche durch das von beeindruckenden Sandsteinsäulen flankierte Tor des Gestüts fuhr und die breite, gekieste Auffahrt entlangrollte.
    Dublin Park lag vierzig Kilometer südlich von Denman, am Anfang des Widden Valley – auch Tal der Sieger genannt –, inmitten der üppigsten Weiden im ganzen Umkreis. Auf der Fahrt zum Haus erschrak Jo darüber, wie sehr der Straßenbelag seit ihrem letzten Besuch gelitten hatte. Der Wagen holperte durch riesige Schlaglöcher und schlitterte durch weiche Schlammhaufen, die nach den letzten Regenfällen nicht beseitigt worden waren. Trotz der säuberlich geflickten Zäune, der ordentlichen Schuppen auf den Koppeln und des gemähten Grases am Straßenrand wirkte das Anwesen etwas heruntergekommen, was sich so gar nicht mit Jos Erinnerung decken wollte. Beim Anblick der abblätternden Farbe an den Zaunpfosten mochte man kaum glauben, dass auf diesem Gestüt seit 1902 die

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