Wohin der Wind uns trägt
Anwesens. Er wusste, wie sehr Elaine Dublin Park liebte und wie viel es ihr bedeutete. Es war nicht nur ihr Zuhause, sondern auch die letzte Ruhestätte des Mannes, den sie vierzig Jahre lang geliebt hatte.
Doch irgendwann konnte Charlie nicht mehr so weitermachen, und er hatte sich einverstanden erklärt, sich seinen Anteil in Form von Pferden auszahlen zu lassen. Außerdem bat er seine Anwälte, eine Klausel in die Vereinbarung einzufügen, dass er seine Stuten kostenlos in Dublin Park decken lassen und seine Pferde unterstellen konnte. Wayne war zwar sehr erbost darüber, konnte jedoch wegen seiner vielen Schulden nichts dagegen unternehmen. Und obwohl die beiden Brüder auf Ricks Beerdigung Waffenstillstand geschlossen hatten, war der Konflikt noch lange nicht aus der Welt geräumt.
Charlie steckte den Stift wieder in die Brusttasche und strich sich mit einer ungeduldigen Bewegung das Hemd glatt. Man musste die Vergangenheit ruhen lassen. Jo, die sein Verhalten missdeutete, machte sich auf eine Auseinandersetzung gefasst.
»Die trockene Luft und die viele Sonne werden deinen Teint ruinieren«, rief Nina entsetzt. »Ich habe in die Wege geleitet, dass du nach deinem Examen für einen Freund ein paar Kleider vorführen kannst. Nur zur Probe, damit du Erfahrung bekommst. Und dann müssen wir alles für die Schweiz vorbereiten.«
Träumerisch sah sie Charlie an.
»Es wäre doch nett, wenn wir die Weihnachtsferien in St. Moritz verbringen würden, bevor Joanna in Pierrefeu anfängt.« Sie nahm ihre Kaffeetasse vom Glastisch und trank einen Schluck.
Am liebsten hätte Jo laut losgeschrien. Zwei rote Flecke erschienen auf ihren bleichen Wangen.
»Mum, wann wirst du es endlich kapieren?«, brach es aus ihr heraus. »Ich will nicht auf ein Pensionat, und außerdem bin ich zu klein und zu dick, um Fotomodell zu werden. Ich will Pferde trainieren wie Dad. Das ist alles, was ich mir wünsche.«
»Sprich nicht so mit deiner Mutter«, befahl Charlie und legte die Rennliste weg.
Nina stellte Tasse und Untertasse ab. Ihre rechte Hand zitterte so sehr, dass sie die linke zu Hilfe nehmen musste. Ihre Augen waren feucht.
»Dann musst du eben abnehmen, Liebling … Bitte, Charlie, wir haben das doch schon so oft besprochen«, schluchzte sie.
Charlie legte ihr die Hand auf die Schulter.
»Überlass das mir, Neene«, sagte er sanft. »Aber bevor wir weiterreden, wirst du dich bei deiner Mutter entschuldigen, Joanna«, fügte er streng hinzu.
Tochter und Vater starrten einander an. Schließlich wandte Jo verzweifelt den Blick ab. Ihr Vater nannte sie sonst nie Joanna.
»Bitte, wimmelt mich nicht immer ab«, flehte sie, flocht die Finger ineinander und drängte die Tränen zurück. »Wenn ich nicht auf der Rennbahn arbeiten darf, könnte ich doch wenigstens mehr über Pferde lernen. Es war Grans Vorschlag, dass ich sie besuchen soll. Ich verspreche, dort auch für die Schule zu büffeln. Es tut mir leid, Mum, ich wollte dich nicht aufregen.«
Obwohl ihre Eltern es ihr sicher nicht erlauben würden, machte ihr der Gedanke, zu einem Leben weit weg von ihren geliebten Pferden gezwungen zu werden, solche Angst, dass sie einfach nicht lockerlassen konnte.
Charlie fühlte sich hin und her gerissen. Sein Herz drängte ihn, die größte Leidenschaft seines Lebens mit seiner Tochter zu teilen und sie in die Geheimnisse seines Berufes einzuweihen. Doch sein Verstand riet ihm, den sicheren Weg zu beschreiten, für den er und Nina sich entschieden hatten. Jo würde die Schule abschließen, ein Mädchenpensionat besuchen und danach eine Ausbildung zum Fotomodell machen. Aber als er Jos erschöpftes Gesicht mit den Augenringen sah, die in den letzten Wochen noch dunkler geworden waren, und daran dachte, was sie in letzter Zeit mitgemacht hatte, kam er zu dem Schluss, dass sie ein wenig Abstand brauchte, um nicht ständig an Ricks Tod erinnert zu werden. Inzwischen sah das Mädchen richtiggehend krank aus. Auch seine Mutter hatte einen müden und erschöpften Eindruck auf ihn gemacht. Vielleicht konnten die beiden einander ja ein wenig aufmuntern.
»Pass auf, deine Mutter und ich sind zwar einverstanden, dass du Ende des Jahres von der Schule abgehst, aber du weißt genauso gut wie ich, dass eine Frau nichts auf der Rennbahn verloren hat.«
Jo krampfte sich der Magen zusammen.
»Allerdings«, fuhr Charlie fort, »werden ein paar Wochen in Dublin Park dir sicher nicht schaden. Möglicherweise sind ein paar Sonnenstrahlen und eine
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