Wohin der Wind uns trägt
Beifahrersitz. Nachdem Jo den schweren Wagen gewendet hatte, schlitterte sie durch den nach den Regenfällen immer noch weichen Morast zurück zu Sam.
»Ich muss ihn zum Tierarzt bringen«, stieß Jo hervor, während sie und Nick den inzwischen schlaffen und nach Luft ringenden Sam in den Landrover hoben.
Mit angsterfülltem Blick sah Sam Jo an.
»Schon gut, alter Junge. Das wird wieder«, flüsterte sie und kämpfte mit den Tränen. »Ich fahre nach Denman, Nick. Ruf beim Tierarzt an und sag Bescheid, dass Sam von einem Pferd getreten wurde und kaum noch Luft bekommt«, wies sie Nick an, sprang in den Wagen und fuhr zurück zu den Ställen.
Während Nick ins Gebäude und zum Telefon eilte, gab Jo kräftig Gas. Als sie durch die Furt drei Kilometer vor Dublin Park raste, spritzte das Wasser in alle Richtungen. Ihr Blick wanderte zur Tankuhr: Der Tank war fast leer. Mit einem bangen Gefühl lauschte sie Sams Keuchen. Wenn ihr das Benzin ausging, würde er es nicht schaffen. Dann fiel ihr aber ein, dass die Tankuhr kaputt war. Sie legte eilig die restliche Strecke zur Tierarztpraxis zurück, bog vorsichtig in die Auffahrt des kleinen Holzhauses ein und sah die Tierarzthelferin, gefolgt von Phillip Gregg, auf sich zueilen. Vor Erleichterung wäre Jo beinahe in Tränen ausgebrochen. Inzwischen hatte sich Sams Zahnfleisch bläulich verfärbt, und sein Atem ging flach und stoßweise.
»Wir bringen ihn rein und geben ihm sofort Sauerstoff«, sagte Phillip mit einem mitleidigen Blick auf Jo. »Wir tun unser Bestes, aber er ist nicht mehr der Jüngste.«
Jo krampfte sich der Magen zusammen, doch sie bestand darauf, dabei zu helfen, Sam aus dem Wagen zu heben und ihn in die Praxis zu tragen. Die Assistentin hatte die Sauerstoffmaske schon in der Hand, als Sam auf den Operationstisch gelegt wurde.
»Wir fangen gleich an. Am besten nehmen Sie im Wartezimmer Platz. Der Herr Doktor kommt dann zu Ihnen«, verkündete die Tierarzthelferin streng, nachdem sie Sam die Sauerstoffmaske angelegt hatte.
Jo blieb nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Enttäuscht blickte sie der jungen Frau nach, die im Behandlungszimmer verschwand, und ließ sich dann, plötzlich erschöpft, auf einen der harten Holzstühle fallen.
»Du musst überleben, Sam, du musst einfach«, schluchzte sie leise. Sie durfte ihn nicht verlieren. Nicht Sam, der Trauer und Freude mit ihr geteilt hatte und ihr ständiger Begleiter geworden war. Der liebenswerte, zutrauliche, alberne alte Sam, der immer wusste, wann sie Trost brauchte, und der stets für sie da war.
Die Minuten schleppten sich endlos dahin. Jo sprang immer wieder von ihrem Platz auf, ging in dem stickigen kleinen Raum hin und her und kaute an ihren Fingernägeln. Nur das Summen einer einsamen Fliege durchbrach die Stille. Sie hätte wissen müssen, dass die Stuten so schreckhaft waren. Doch sie hatte das Fohlen weder gesehen noch damit gerechnet, dass die verängstigte Mutter sie angreifen würde. Sam war es genauso ergangen. Schließlich betrachtete er die Pferde als seine Freunde.
»Bitte nicht Sam. Nicht das Letzte, was mir von Rick noch geblieben ist«, flüsterte sie, starrte auf einen dunklen Fleck auf dem Boden und erinnerte sich an den verdutzten Blick des Hundes. Dann presste sie die Faust vor den Mund, biss sich auf die Fingerknöchel und versuchte, ihre Verzweiflung zurückzudrängen. Sam würde durchkommen. Phillip konnte nicht zulassen, dass er starb. Wieder lief sie im Zimmer auf und ab und nestelte an ihrem Haarband herum.
Endlich, nach einer halben Ewigkeit, ging die Tür auf, und Phillip kam herein. Jos Herz machte einen Satz. Sie fühlte sich auf grauenhafte Weise an die Szene im Wartezimmer des Prince-of-Wales-Krankenhauses erinnert.
»Ist er …? Ist er …?«, flüsterte sie.
»Ich muss zugeben, dass er uns eine Weile Sorgen gemacht hat«, erwiderte Phillip.
Jo stieß einen lauten Seufzer aus. Mit zitternden Knien ließ sie sich auf einen Stuhl sinken, das Haar fiel ihr ins Gesicht, und ihre Lippen zitterten.
»Der Tritt hat einen Lungenriss verursacht, und einige Rippen hat er sich auch gebrochen. Genaueres wissen wir erst, wenn wir die Röntgenaufnahme haben«, erklärte Phillip. »Außerdem hat er einen sogenannten Pneumothorax: Luft ist in die Brusthöhle ausgetreten. Ich habe es geschafft, sie abzusaugen. Deshalb kann er wieder besser atmen und quält sich nicht mehr so. Er muss die nächsten zwei bis drei Tage bei uns bleiben. Mit ein bisschen Ruhe ist er in ein
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