Wohin der Wind uns trägt
wieder ein: Ein Mittagessen mit Modenschau, bei dem Spenden für das Prince-of-Wales-Krankenhaus gesammelt werden sollten. Ihre Mutter hatte darauf bestanden, dass sie zusammen hingingen. Ihr wurde flau im Magen. Wegen der Enttäuschung ihres Vaters, weil Arctic Gold vermutlich nicht am Caulfield Cup würde teilnehmen können, hatte sie diesen Termin völlig verdrängt.
»Das hast du vergessen! Wie kannst du die größte Chance deines Lebens einfach vergessen«, rief Nina wütend. »Die Chefredakteurinnen von Vogue, She und einer Reihe weiterer australischer Modezeitschriften haben mich angerufen und wollen dich unbedingt kennenlernen. Ganz zu schweigen von dem Geld, das unsere Familie gespendet hat! Und du vergisst es einfach. Wie kannst du nur, Jo?« Zornesröte breitete sich auf Ninas Wangen und Hals aus. Sie stieß Jo beiseite, sprang auf und setzte zu einer ihrer Tiraden an.
Jo wollte protestieren. Doch da wurde ihr plötzlich klar, dass die Spende und die Veranstaltung für ihre Mutter auch den Zweck verfolgten, die Trauer um Rick zu verarbeiten.
»Mum, Mum, einen Augenblick bitte. Was soll ich denn anziehen?«, rief sie aus, rappelte sich auf und packte ihre Mutter am Arm.
Nina verstummte schlagartig. Rasch klappte sie den Mund zu und nahm die neueste Modezeitschrift von dem Stapel auf dem Tisch. Sie setzte sich wieder, blätterte das Magazin durch, biss sich auf die Lippe und deutete schließlich auf ein auf den ersten Blick ganz schlicht wirkendes Kleid von Le Louvre, dem bekanntesten Modesalon Melbournes.
»Das da«, verkündete sie, und ihre Augen blitzten begeistert. »Ein Kleid von Lil wäre am besten geeignet. Einfach und elegant. Außerdem wirst du darin größer wirken. Wir fliegen zu einer Anprobe hin.«
Vorsichtig ließ Jo sich auf dem Sofa nieder und spähte ihrer Mutter über die Schulter. Ninas warmer Duft löste in ihr die Sehnsucht nach Nähe aus. Das Kleid war nicht schlecht, allerdings ein himmelweiter Unterschied zu den alten Hemden und Jeans, die Jo am liebsten anhatte. Das Problem war nur, dass das Mädchen auf dem Foto etwa drei Größen schlanker war als Jo und dafür etwa einen Meter siebzig groß. Aber warum sollte sie das Spiel nicht mitmachen und sich für diesen Tag verkleiden? Es war nur ein Mittagessen, dachte sie. Und wenn sich ihr Verhältnis zu ihrer Mutter dadurch besserte, war es das Opfer wert.
»Doch für die anderen beiden Kleider müssen wir uns etwas einfallen lassen. Vielleicht eines, das ein bisschen gewagter ist«, sprach Nina weiter und deutete auf eine sehr tief ausgeschnittene Bluse. »Und dann noch etwas Lässig-Elegantes«, beendete sie triumphierend den Satz. Jo wurde ganz seltsam zumute.
»Was meinst du mit anderen Kleidern? Es ist doch nur ein Mittagessen, Mum. Ich werde doch bestimmt nicht ständig hinausrennen und mich zwischen den Gängen umziehen.«
»Jo, warum musst du nur so schwierig sein?«, beschwerte sich Nina und warf die Zeitschrift auf den Tisch.
»Verzeihung, Mum. Erklär es mir«, sagte Jo und hatte Mühe, angesichts dieser absurden Situation nicht in Gelächter auszubrechen.
Nina beruhigte sich wieder und senkte die Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern.
»Es wird eine Moderedakteurin da sein, mit der ich befreundet bin. Sie sucht ein junges Gesicht für die Erstausgabe ihrer neuen Zeitschrift, die im nächsten Jahr erscheinen soll. Deshalb dachte ich, dass es keine schlechte Idee wäre, für alle Fälle noch ein paar andere Kombinationen aus dem Ärmel zaubern zu können.« Jo blickte ihre Mutter empört an, doch diese brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Schau mich nicht so an, Jo.«
»Mum, ich bin nicht hübsch genug, um Fotomodell zu werden«, rief Jo verzweifelt.
Nina tätschelte ihrer Tochter die Wange.
»Das wird sich zeigen, mein Kind. Ich glaube, du ahnst gar nicht, wie schön du bist.«
Jo verkniff sich die Antwort, die ihr auf der Zunge lag. Sie hatte das Thema Modelkarriere und Mädchenpensionat mit ihrer Großmutter erörtert und war fest entschlossen, die Ruhe zu bewahren.
»Warte ab, was passiert«, hatte Elaine ihr geraten. »Außerdem kann ein Jahr in der Schweiz nicht schaden. Schließlich laufen die Pferde dir nicht davon.«
Damals hatte Jo sich beschwichtigen lassen, doch als sie das endlose Geplapper ihrer Mutter über Moderedakteurinnen, Designer und Laufstege hörte, wurde ihr wieder ganz anders zumute.
Einige Tage später versuchte sie, ihrem Vater ihre Ängste begreiflich zu
Weitere Kostenlose Bücher