Wohin der Wind uns trägt
würde Rick für immer unvergessen bleiben. Sie musterte die freudigen Gesichter. Im nächsten Moment jedoch schreckte sie zusammen, denn sie hörte ihren eigenen Namen.
»Komm, Joanna, mein Kind, steh auf, damit ich dich allen vorstellen kann.«
Jo schrumpfte auf ihrem Stuhl förmlich zusammen und errötete heftig, als alle Köpfe sich in ihre Richtung wandten. Man wartete auf sie. Widerstrebend stand sie auf, und die Situation war ihr entsetzlich peinlich. Der Schweiß lief ihr den Rücken und zwischen ihren Brüsten hinunter, und sie fühlte sich, als würde sie von den Blicken ausgezogen. Nina hingegen strahlte vor Stolz.
»Finden Sie nicht auch, dass sie reizend aussieht? Ich versuche gerade, sie dazu zu überreden, Fotomodell zu werden, aber sie glaubt mir nicht, dass sie es schaffen könnte«, erklärte Nina, ohne auf die dicht neben ihr stehende Beryl Mawson oder auf Jos offensichtliche Verlegenheit zu achten. »Ich hoffe, dass sie eines Tages dort oben stehen und so wunderschöne Kleider vorführen wird, wie wir sie heute bewundern durften. Meinen Sie nicht auch, dass Sie das Zeug dazu hat?« Sie warf Joanna eine Kusshand zu.
Jo lächelte ihrer Mutter steif zu, und die Anwesenden begannen zu applaudieren. Viele waren von Ninas kurzer Ansprache zu Tränen gerührt gewesen und freuten sich über die Gelegenheit, ihre Wertschätzung für diese Frau und ihre Großzügigkeit erneut zu zeigen. Während Jo wieder Platz nahm, bemerkte sie zu ihrem Entsetzen aus dem Augenwinkel die echten Mannequins, die in einer Ecke saßen und höflich klatschten, und Zorn stieg in ihr auf.
Nach der Veranstaltung scharten sich die Anwesenden um Jo und Nina. Jo war zwar äußerlich um Ruhe bemüht, doch innerlich kochte sie vor Wut. Ohne Vorwarnung hatte ihre Mutter sie erst wegen Rick zu Tränen gerührt, um sie dann in aller Öffentlichkeit zu blamieren. Das hätte Jo ihr noch verzeihen können, aber sie verstand einfach nicht, warum Nina in Gegenwart von Fremden einfach darüber hinweggegangen war, dass sie, Jo, nun einmal nicht Fotomodell werden wollte.
Als sie sich gerade zum Gehen anschickten, kam Irene Sarrenson-Hicks auf sie zugerauscht. Jo hatte Mühe, sich zu einem Lächeln zu zwingen, denn die Frau ließ keinen Zweifel daran, dass sie Jo während des gesamten peinlichen Auftritts genau beobachtet hatte.
»Sie müssen zwar noch einiges lernen, mein Kind, aber Sie sind eindeutig ein Naturtalent. Ihre Mutter hat recht, Sie wären ein wundervolles Fotomodell. Rufen Sie mich nächste Woche an«, meinte Irene, die einen elfenbeinfarbenen und schwarzen Hut trug, und drückte Nina ihre Karte in die Hand. Dabei musterte sie Jo weiter von Kopf bis Fuß. »Geben Sie mir sechs Monate, um an ihrer Kleidung und dem Gang zu arbeiten und etwas für ihre Haut und ihr Haar zu tun …« Sie lächelte breit, und Jo sah, dass sie zwei Goldplomben hatte.
»Sie müssen lockerer werden, mein Kind, dann mache ich einen internationalen Star aus Ihnen.«
Nina begann in ihrer Begeisterung, die Aufmerksamkeit von Australiens wichtigster Modelagentur erregt zu haben, aufgeregt zu plappern, und Jo wäre am liebsten im Erdboden versunken.
»Wie konntest du so nett zu dieser Frau sein?«, erregte sie sich, als sie endlich in den Bentley stiegen. »Sie hat doch nur an mir herumgekrittelt. Was stimmt denn bitte nicht mit meiner Haut?«
»Beruhige dich, Joanna. Du redest von Dingen, von denen du nichts verstehst«, befahl Nina, knallte die Wagentür zu und klopfte an die Trennscheibe.
Irene Sarrenson-Hicks’ Worte hallten ihr noch immer in den Ohren. Sechs Monate … ein internationaler Star … Die kritischen Bemerkungen über Jos Haar und Kleidung hatten ihr zwar auch nicht gefallen, doch das spielte keine Rolle. Jo war entdeckt worden.
»Ich fand es abscheulich …«, begann Jo.
»Jetzt reicht es mir aber mit deinem Gejammer, Jo«, fuhr Nina sie an, die sich ihren Triumph nicht vermiesen lassen wollte. »Noch ein Wort, und Fizzy kommt weg. Schließlich wird sich sowieso niemand um ihn kümmern können, während du in der Schweiz bist.«
Jo fühlte sich wie nach einem Schlag ins Gesicht. Aschfahl sank sie in ihren Sitz zurück und starrte aus dem Fenster auf die vorbeifahrenden Autos, ohne sie wirklich zu sehen. Fizzy! Das durfte sie nicht. Oder doch? Zu Hause angekommen, riss sie sich die Designerkleider vom Leib, schlüpfte in Jeans und ein altes Hemd und floh aus dem Haus. Sie rannte die Straße hinunter und erwischte gerade noch den
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