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Wohin der Wind uns trägt

Wohin der Wind uns trägt

Titel: Wohin der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne McCullagh Rennie
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Zügen.
    Schließlich hielt Gaston inne.
    »Haben Sie Familie?«, fragte er.
    Jo nickte.
    »Lieben Sie Ihre Angehörigen sehr?« Er hielt inne und spähte durch die Kamera. »Stellen Sie sich vor, jemand, der Ihnen nahe steht, wäre gerade ums Leben gekommen.«
    Das wirkte auf Jo wie ein Schlag in die Magengrube. Ihre Fröhlichkeit war mit einem Mal wie weggeblasen, und sie musste die Tränen zurückdrängen, um ihr Make-up nicht zu verderben.
    » Oui, genau so! Und jetzt laufen Sie auf mich zu«, befahl Gaston.
    Jo gehorchte. Der Satinumhang wehte hinter ihr her, während ihr die Tränen über die Wangen liefen.
    » Oui! Oui! Jetzt stimmt der Ausdruck!« Gaston war begeistert. »Und in den nächsten Aufnahmen sehen wir glücklich aus, chérie. André, bitte kümmern Sie sich um das Make-up.«
    Jo beendete den Fototermin in einem Gefühlsaufruhr. Obwohl es ihr gelang, die von Gaston bei jedem Kleiderwechsel geforderten Emotionen auszudrücken, schwankte ihr Gefühlsbarometer zwischen Trauer und Wut. Gaston, der in ganz Frankreich begehrte Fotograf, war zwar talentiert, aber auch arrogant und gleichgültig. Für ihn war sie nichts weiter als ein Gesicht und ein Körper. Allerdings konnte er unmöglich von Ricks Tod wissen, sagte sie sich. Schließlich hatte sie nach der Abreise aus Australien mit niemandem darüber gesprochen. Und außerdem war alles sowieso umsonst, alles nur Theater. Die Fotos würden niemals veröffentlicht werden.
    Die Novemberausgabe von Elegance Internationale kam in der letzten Oktoberwoche in die Läden. Selbst Jutta war von Gastons Aufnahmen begeistert gewesen.
    »Druck sie«, hatte Rachelle beim Anblick der Fotos gerufen. »Außerdem kann ich dir nur raten, dich nach einer anderen Assistentin umzusehen.« Sie behielt recht. Plötzlich stand Jo hoch im Kurs. Jean Curie war überglücklich. Bis zum Titelmädchen hatte Jo zwar noch einen weiten Weg vor sich, aber die achtseitige Fotoserie hatte sie bekannt gemacht, und die Zeitschriften rissen sich um sie.
    In den nächsten Monaten reiste Jo kreuz und quer durch Europa. Dabei wünschte sie sich, Emma häufiger zu sehen, die inzwischen von einem Agenten aus Florenz betreut wurde. Da Jo während ihrer Tätigkeit bei Elegance Internationale viele Modeschöpfer kennengelernt hatte, erhielt sie unterwegs ständig neue Angebote. In knapper Badebekleidung stand sie frierend vor dem Kolosseum in Rom, um sich für die Vogue ablichten zu lassen. Sie schwitzte sich in überheizten Modehäusern halb tot, balancierte auf hohen Plateausohlen aus Kork durch das Tohuwabohu, das hinter der Bühne von Mailänder Modenschauen herrschte, und verbrachte während der Fototermine in Athen viele lange Stunden mit Warten. Doch irgendwie schaffte sie es, die Feuertaufe zu überstehen.
    Ihr Terminkalender war randvoll, denn sie musste sich neben den Fototerminen und Modenschauen am Arm von Männern der verschiedensten Nationalitäten und Altersgruppen bei unzähligen Galadiners, Wohltätigkeitsveranstaltungen und Partys blicken lassen. Dabei kam sie kaum zum Luftholen.
    So war Jo schließlich sehr erleichtert, als sie am Weihnachtstag endlich ihre Reisetasche in ihrem Zimmer in Jennys Wohnung abstellen und den dicken grauen Wollpullover und die kniehohen Stiefel ausziehen konnte, um sich aufs Bett sinken zu lassen.
    »Sie sind superklasse«, rief da eine vertraute Stimme.
    Jo sprang auf.
    »Emma«, jubelte sie und fiel ihrer Freundin, die sie seit Monaten nicht getroffen hatte, um den Hals.
    »Du bist hinreißend«, begeisterte sich Emma. »Als ich die Fotos in Elegance gesehen habe, auf denen du so rennst … Super! Dein Gesichtsausdruck geht einem richtig ans Herz. Die Klamotten sind, glaube ich, niemandem aufgefallen.«
    In Jos violetten Augen funkelte es verärgert. Am Vorabend war sie Gaston bei einer Party in Barcelona begegnet und hatte sich wieder daran erinnert, wie sehr er sie mit seinen Bemerkungen verletzt hatte. Er hatte sogar den Nerv gehabt, sie zu fragen, ob sie mit ihm ausgehen wolle. Von der schlechten Luft in den Flugzeugen hatte sie Kopfschmerzen, und wie immer rochen ihre Kleider nach Zigarettenrauch.
    »Ich hasse diesen Mann, und ich hasse es, Fotomodell zu sein. In den letzten beiden Monaten bin ich herumgelaufen wie ein kopfloses Huhn. Mein Gott, was ist nur aus meinem Leben geworden?«, schluchzte sie erschöpft, vergrub ihr Gesicht in ihrem Pullover und begann zu weinen.
    Entsetzt betrachtete Emma ihre Freundin. Nach und nach gelang es ihr, die

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