Wohin die Liebe führt
sah ich in den Rückspiegel.
Sie fand meinen Wagen sofort und kam auf mich zu. Über ihrer Schulter hing an einem langen Lederriemen eine Kamera, die ihr beim Gehen an die Hüfte schlug. Ich machte die Tür auf.
»Nun, was haben Sie gefunden?« fragte ich, sobald sie im Wagen war.
Ihr Blick war bekümmert. »Die Sache gefällt mir nicht, Mister Carey. Renzo ist nicht allein in der Geschichte drin. Vielleicht wäre es besser, wenn wir uns nicht einmischen.«
»Haben Sie herausbekommen, wo er wohnt?« fragte ich ungeduldig. Sie nickte.
Ich ließ den Motor an. »Also fahren wir. Wohin?«
»Renzo hat eine Wohnung über einer Bar. Draußen in der Nähe vom Cliff House.«
Ich schaltete, und wir fuhren los. Ich sah sie an. Ihr Gesicht sah noch immer bekümmert aus. »Warum so geheimnisvoll?«
»Ich sagte Ihnen ja, mein Bruder steckt nicht allein drin. Es sind ein paar gefährliche Leute dabei.«
»Meinen Sie, er hat gedacht, daß er nicht allein fertigbringt, was er sich vorgenommen hatte? Zu groß das Ding für ihn, wie?« fragte ich spöttisch.
»Genau. Er ging zu einem Freund, der auch ein sehr guter Freund von Tony war.«
»Wer ist der Kerl?«
»Charley Coriano.«
Ich sah sie an. Ihr Gesicht war ausdruckslos. Wenn sie recht hatte, steckte der Bruder in einer großen Sache. Charley Coriano stand in dem Ruf, seine Finger in jeder krummen Geschichte in San Francisco zu haben. Natürlich konnte man es ihm nie beweisen, ebensowenig, wie man Mickey Cohen jemals auf etwas Ernsteres als auf Steuerbetrug hatte festnageln können. Aber sein Ruf hing ihm unverändert an. Charley Coriano also.
»Wo haben Sie das erfahren?«
»Bei der Arbeit. Eins der Mädchen hat mir’s erzählt.«
»Woher weiß sie es?«
»Sie ist die Freundin von einem von Corianos Jungens.«
»Und warum hat sie’s Ihnen gesagt?«
Sie sah mich an. »Sie dachte, ich sei mit drin. Die Firma, für die ich arbeite, gehört Coriano.«
»Und wer hat die Briefe? Coriano oder Ihr Bruder?«
»Das weiß ich nicht.«
»Nun, es gibt nur einen Weg, das herauszubekommen.«
»Ich möchte nicht, daß meinem Bruder etwas passiert.«
»Das ist seine Angelegenheit«, sagte ich. »Er hat sich ja seine Freunde ausgesucht, nicht ich.«
Es war lange her, daß ich in diese Gegend gekommen war. Nicht mehr, seit ich mit Dani bei Sutro gewesen war und ihr die Automaten gezeigt hatte - sie war damals noch ein Baby. Ich dachte daran, wie versessen sie darauf war. Ich fuhr in einen offenen Parkplatz und sah mich um.
Nichts hatte sich verändert. Dieselben Würstchenstände und Buden und billigen Bars. Nur kosteten das Bier und die Würstchen jetzt nicht mehr einen Nickel, sondern einen Quarter.
Sie zeigte auf eine Bar. »Wir können zuerst hier nachsehen. Hier ist er nämlich oft.«
Ich ging ihr nach. Es war spät und nicht mehr viel Betrieb in der Bar. Ein paar Hartsäufer hockten vor ihrem Schlummertrunk, ein paar Burschen tranken Bier.
Der Barmann kam zu uns, wischte die Bar mit seinem Tuch ab und sagte: »Hallo, Anna.«
»Hallo, Johnny. War Renzo heute abend hier?«
Seine Augen musterten mich scharf und schnell, dann sah er sie wieder an. »Ja, vorhin. Aber er ist wieder weg.«
»Danke, Johnny.« Sie drehte sich um und wollte gehen, aber er rief sie zurück.
»Tut mir leid - das mit Tony. War ’n netter Kerl. Ich hab’ ihn immer gern gemocht.«
»Danke, Johnny«, sagte sie wieder.
Ich folgte ihr hinaus. »Wohin nun?«
»Diese Gasse hinunter und an der Rückseite des Hauses die Treppe hinauf.«
Ich wollte in die Gasse einbiegen, aber sie legte die Hand auf meinen Arm und hielt mich zurück. »Bitte, lassen Sie uns nicht hingehen«, sagte sie. Sie sah mir in die Augen. »Dieser Barmann hat uns gewarnt.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Er hat mir einen Wink gegeben, als er so von Tony sprach. So freundlich. In Wirklichkeit haßte er Tony. Sie hatten einmal eine Schlägerei. Dabei hat er Tony fast umgebracht. Irgend etwas stimmt nicht.« Ich sah sie fest an. »Gehört dies Lokal auch Coriano?«
Sie nickte. »Vielleicht ist es besser, wir lassen sie die Sache unter sich abmachen.« Sie nahm die Hand nicht von meinem Arm. »Sie sind ein anständiger Mensch. Ich möchte nicht, daß Ihnen etwas geschieht.«
»Es geht hier um die Zukunft meiner Tochter. Sie brauchen nicht mit hinaufzukommen, wenn Sie nicht mögen. Sie können im Wagen warten.«
»Nein«, sagte sie ängstlich; ihre Hand zupfte am Riemen der Kamera. »Ich gehe mit.«
Ich sah sie an.
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