Wohin die Liebe führt
Ich nahm einen kleinen Schluck aus meinem Glas und stellte es hin. »Also, was wollen wir wegen des Briefes unternehmen?«
»Ich habe das Inserat bereits aufgegeben. Es erscheint Donnerstag. Heute ist Montag. Das gibt uns Zeit genug herauszufinden, wo die Briefe sind und wer sie hat.«
»Zwei Tage. Morgen und Mittwoch. Heute ist es zu spät, und morgen werden wir ein gut Teil des Tages im Gericht sein. Ich weiß nicht einmal, wo ich einhaken könnte. Ich weiß überhaupt nichts von Riccio. Nicht einmal, wer seine Freunde waren.«
»Sam Corwin wird es wissen.«
»Sam?« fragte ich verwundert. An Sam hatte ich überhaupt nicht gedacht. Seltsam, daß ich ihn so ganz vergessen konnte. Etwa ein Jahr nach unserer Scheidung hatte er Nora geheiratet. Ich sah ihn dann mehrmals im Haus, wenn ich Dani von ihren Besuchen bei mir zurückbrachte. Er war immer höflich und liebenswürdig.
»Ja, Sam. Der arme Sam. Er wußte, wie Nora ist, als er sie heiratete, aber er glaubte, er könne sie ändern. Als sie aber Ric-cio kennenlernte, hat es sogar Sam aufgegeben. Riccios wegen hat sich Sam scheiden lassen und dabei auch eine saubere Teilung des gemeinsamen Vermögens durchsetzen können.«
»Dann muß Sam etwas gegen sie in der Hand gehabt haben?«
»Er hatte gegen beide etwas in der Hand.«
Die Tür hinter ihr öffnete sich. Das Mädchen trat ein. »Das Dinner ist angerichtet, Madam.«
Wir standen auf. Die alte Dame sah mich lächelnd an. »Willst du mir bitte den Arm reichen, Luke?«
Ich lächelte zurück. »Es ist mir eine Ehre.«
Zum erstenmal näherte ich mich dem Haupteingang des Gebäudes. Der Parkplatz war überfüllt, ich hatte meinen Wagen ein paar Blocks entfernt abstellen müssen. Ich ging den geschwungenen Weg hinauf, der von der Straße zum Hauptportal führte. Ein Gärtner im Arbeitszeug beschnitt gerade die gepflegten Hecken, die den Weg säumten. Er sah auf, als ich vorbeiging. Von der Morgensonne hatte er große Schweißtropfen auf der Stirn. Ich betrachtete die Glastüren. Sie trugen in schönen Buchstaben die Aufschrift:
STAAT KALIFORNIEN KREIS SAN FRANCISCO
Jugendgericht
Bewährungs-Abt.
Kalifornisches Jugendamt
Ich ging hinein und kam in eine große Halle voller Reporter und Fotografen. Ein paar Blitzlichter flammten auf, einige Reporter drängten sich an mich heran. Aber sie waren längst nicht so zudringlich wie neulich.
»Können Sie uns etwas über die Pläne zur Verteidigung Ihrer Tochter sagen, Colonel Carey?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, das kann ich nicht. Soweit ich weiß, kommt nach den Gesetzen dieses Staates kein Jugendlicher vor ein ordentliches Gericht. Hier findet heute lediglich
eine erste Verhandlung über die Vormundschaft statt.«
»Werden Sie versuchen, die Vormundschaft über Ihre Tochter zu bekommen?«
»Das zu entscheiden, ist Sache des Gerichts. Meiner Ansicht nach ist das wichtigste, daß den Interessen meiner Tochter so gut wie nur irgend möglich gedient wird.«
»Haben Sie Ihre Tochter gesehen?«
»Ich habe sie Sonntag nachmittag besucht.«
»War ihre Mutter auch mit?«
»Nein, ihre Mutter war krank.«
»Hat ihre Mutter sie überhaupt schon besucht?«
»Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, daß sie Pakete von ihrer Mutter bekommen hat.«
»Wissen Sie auch, was darin war?«
»Kleider, Bücher, Konfekt.«
»Über was haben Sie mit Ihrer Tochter gesprochen?«
»Über nichts Besonderes. Was Vater sich so mit Töchtern unterhalten, glaube ich.«
»Hat sie Ihnen Genaueres über die Ereignisse von Freitag nacht erzählt?«
Ich sah den Mann scharf an, der die Fragen stellte. »Nein, davon haben wir überhaupt nicht gesprochen.«
»Haben Sie irgend etwas erfahren, das mehr Licht auf die ganze Angelegenheit wirft?«
»Nein. Ich weiß nichts als das, was ich gestern bei den Vernehmungen der Zeugen vor dem Untersuchungsrichter erfahren habe. Ich glaube, die meisten von Ihnen waren ebenfalls dort. Wenn Sie jetzt so freundlich wären, mich durchzulassen.«
Sie traten beiseite und ließen mich vorbei.
Das Jugendgericht lag an der linken Seite der Vorhalle. Ich folgte dem Pfeil einen Korridor entlang und um eine Ecke. Ein weiterer Pfeil wies auf eine abwärtsführende Treppe, die zu einem verglasten Warteraum führte. Durch diesen Warteraum erreichte man das Jugendgericht. Ich öffnete die Tür.
Vor mir lag ein kleiner Saal mit einem Podium am entgegengesetzten Ende. Vor dem Pult des Richters ein langer Tisch mit mehreren Stühlen. Etwas seitlich davon,
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