Wohin du auch fliehst - Thriller
dieses neckische Lächeln in der Stimme. Dabei stupste sich mich mit dem Ellenbogen an.
Ich lächelte. »Ich? Nein. Habe nie den Richtigen getrof fen – du weißt ja, wie das ist in der Großstadt. Zu viel Arbeit.«
Sie nickte. »Ich bin mit ein paar Männern ausgegangen. Aber jemandem wie Lee bin ich nie begegnet. Er ist sehr – besonders. Aber das weißt du ja selbst.«
Ich sah sie an, ihre Wortwahl war so merkwürdig. Sie sah zur Balkontür, als hätte sie etwas in der Wohnung gehört, und etwas Schreckliches dämmerte mir.
Er war da. Er war in der Wohnung. Er war die ganze Zeit über hier gewesen.
»Was wirst du jetzt tun?«, fragte sie etwas leiser, irgendwie beunruhigt. Dabei ließ sie die Balkontür und den dunklen Raum dahinter nicht aus den Augen.
»Nichts«, sagte ich leise. »Ich tue gar nichts.«
»Na dann ist ja gut.« Sie lächelte mich glücklich an.
Wir tranken unseren Tee aus, und es gab keinen Grund für mich, noch länger zu bleiben. Ich wollte so viel Abstand wie möglich zu diesem Ort bekommen und nie wieder dorthin zurückkehren. Doch vorher musste ich noch einmal die Wohnung durchqueren.
Ich zwang mich loszulaufen, und, einmal drinnen angekommen, ging es schon. Es herrschte Stille, nur Sylvia war zu hören, die die Tassen ausspülte und davon quasselte, dass wir uns mal wieder auf einen Kaffee treffen oder abends ausgehen sollten. Dass sie ihren Geburtstag plane und ob ich nicht auch kommen wolle.
Vom engen Flur aus konnte ich ins Schlafzimmer sehen. Das Bett war ungemacht, der Schrank stand offen und platzte vor lauter bunten Klamotten beinahe aus allen Nähten. Auf der anderen Seite lag das Bad, an der hinteren Wand stand eine Badewanne. Ich hätte es mir denken können – hier gab es keinerlei Versteckmöglichkeiten für ihn. Er war nicht da.
An der Tür schenkte sie mir noch einmal ein strahlendes Lächeln. Ich war gekommen, um sie zu warnen, aber das konnte ich jetzt nicht mehr. Ich hatte ihr sagen wollen, dass ich ihn umbringen würde, wenn er sich mir auch nur näherte. Doch ich sagte nichts.
Stattdessen lächelte ich zurück, versprach, in Kontakt zu bleiben, und brach auf. Ich ging zur Bushaltestelle und spürte, wie mir ihr Blick von der schwarzen Haustür aus folgte.
Ich fühlte mich so frei wie schon seit Jahren nicht mehr. Je weiter ich wegging, desto leichter wurden meine Schritte, und als ich die Hauptstraße erreichte, tanzte ich fast. Ich hatte keinen Plan – noch nicht –, doch jetzt konnte ich wenigstens anfangen, einen zu schmieden.
Von Herne Hill aus fuhr ich nach Camberwell zurück. Ich nahm den 68er-Bus zum Maudsley Hospital und stieg aus. Stuart hatte in einer halben Stunde Dienstschluss. Natürlich konnte das auch noch Stunden länger dauern, wenn es einen Notfall gab, aber es bestand Hoffnung. Außerdem konnte ich mich darauf verlassen, dass er den Haupteingang und keinen Nebeneingang nehmen würde, aber selbst darüber machte ich mir keine Gedanken.
Ich saß auf der Mauer in der Sonne und ließ die Beine baumeln. Hier war auf der Straße mehr los, dennoch war es ruhiger als an einem Wochentag. Ich betrachtete die Busse, die kamen und wieder wegfuhren, und die Passanten.
Fast hätte ich ihn verpasst. Ich sah zur Bushaltestelle hinüber, und da war er. Er hatte etwas früher Schluss gemacht.
»Hi!«, rief ich.
Stuart drehte sich um, sah mich und lächelte. Er lief zu mir und küsste mich leidenschaftlich auf den Mund. Dann setzte er sich neben mich auf die Mauer.
»Hi, was machst du denn hier?«
»Ich warte darauf, dass mein Schiff in den Hafen einläuft«, sagte ich.
»Aha, und, wie sieht es aus?«
»So weit ganz gut.«
»Wir könnten auch in einen netten Pub gehen und dort darauf warten, was meinst du?«
Wir gingen ins Bull , das eigentlich kein wirklich netter Pub war, aber dafür in der Nähe. Der Biergarten war voller Leute, die allem Anschein nach schon den ganzen Tag dort saßen und tranken, also gingen wir hinein. Wir bestellten eine Flasche Wein, setzten uns in den Schatten und lauschten auf die Gesprächsfetzen, die von draußen durch die offene Tür hereindrangen.
»Ich habe über den Urlaub nachgedacht«, sagte er.
»Welchen Urlaub?«
»Den, den wir buchen wollten, als es draußen noch eiskalt war. Wir haben ihn nie gebucht.«
»Aber nur wegen deiner spießigen Arbeitsmoral.«
»Trotzdem sollten wir was buchen.«
Ich sah aus dem Fenster und nippte an meinem Wein. In letzter Zeit konnte ich zwei Gläser trinken, ohne gleich
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