Wohin du auch fliehst - Thriller
Fuß unterwegs gewesen. Heutzutage ging man in London kaum noch zu Fuß, erst recht nicht am Stadtrand und nicht, wenn es dunkel war.
Bis auf mich.
Sylvia war irgendetwas Schlimmes zugestoßen. Davon war ich fest überzeugt. Sie wirkte so anders. Nicht mehr so forsch, eher gedrückt, und ihr Blick hatte etwas Gehetztes. Ich hatte geglaubt, er benutze sie, um an mich heranzukommen, doch was war, wenn er gar nicht mehr an mir interessiert war? Was, wenn er eine andere gefunden hatte, die er kontrollieren konnte?
Genau das dachte ich bis zu dem Augenblick, als ich durch den Spalt zwischen Tor und Angel hinter dem Haus spähte und sah, dass die Vorhänge meiner Wohnung weit aufgezogen waren und Licht brannte.
Ich blieb einen Moment wie angewurzelt stehen. Er war in der Wohnung gewesen. Vermutlich war er noch dort.
Ich überlegte kurz, Sam Hollands anzurufen, bis mir einfiel, dass es auch Stuart sein konnte – ich hatte ihm einen Schlüssel gegeben. Sollte ich nicht lieber selbst nachschauen, wo ich schon mal unten war?
Genau in dem Moment erschien eine Gestalt am Fenster, und ich zuckte zurück, atmete dann aber erleichtert auf. Es war Stuart, er stand am Fenster und drückte auf den Tasten seines Handys herum. In dem Moment vibrierte das Telefon in meiner Tasche.
C – wo bist du? Alles in Ordnung? S x
In diesem Augenblick wünschte ich mir nichts sehnlicher, als bei ihm zu sein. Ich rannte bis zum Ende der Gasse, stolperte über den unebenen Boden und musste beinahe lachen vor lauter Erleichterung.
Ich rannte zur Eingangstür. Steckte den Schlüssel ins Schloss, wusste aber irgendwie, dass ich das gar nicht tun musste. Ich stieß sie mit dem Schlüssel im Schloss auf. Dann zog ich die Tür wieder zu, schloss ab, kontrollierte sie einmal aus alter Gewohnheit. Ich fühlte mich dumm und glücklich dabei, wollte nur noch oben bei Stuart sein, ihn umarmen, die Vergangenheit vergessen und bloß noch an die Zukunft denken.
Vor meiner Wohnungstür blieb ich kurz stehen und lauschte. Nichts, kein Mucks, gar nichts.
Ich schloss auf und öffnete die Tür. Vor mir konnte ich das Wohnzimmer und das Esszimmer sehen, beide lagen im Dunklen.
Irgendwas stimmte hier nicht. Warum hatte Stuart das Licht ausgemacht?
Als ich in der Tür stand, roch ich es, roch ich ihn, wenn auch nur schwach. Ich erkannte den Geruch sofort, mein Herz begann zu hämmern, und mein Magen schnürte sich zusammen.
Lee.
Er war hier, im Wohnzimmer.
Ich versuchte mir vorzustellen, wo er sich versteckt haben konnte, während er darauf wartete, dass ich nach Hause kam.
Ich machte einen Schritt in den Flur, dann noch einen, bis ich auf Höhe der offenen Tür stand. Das Licht auf meinem Nachttisch warf einen sanften Schein auf den Flur und lange, tiefe Schatten.
Stuart lag auf meinem Bett und sah aus, als schliefe er. Ich atmete tief durch und begann mich zu entspannen, doch dann bemerkte ich, dass irgendwas an seiner Haltung nicht stimmte – außerdem hatte er noch seine Schuhe an. Anschließend entdeckte ich etwas Rotes auf dem Kissen, das sich neben seinem Kopf auf den Bezug ausbreitete. Noch bevor ich denken konnte, setzte ich mich auch schon in Bewegung. »Stuart! Oh, nein!« Schon stand ich neben ihm, hob seinen Kopf und starrte voller Entsetzen auf meine roten Finger. Er atmete gleichmäßig, aber sehr flach.
Ich hörte hinter mir ein Geräusch und erstarrte.
Ich stand auf und drehte mich langsam um.
Er stand in der Tür zu meinem Schlafzimmer und versperrte mir den Ausgang.
Doch etwas war äußerst merkwürdig. Obwohl mein Herz wie wild schlug, mir schlecht und schwindelig zugleich war, verspürte ich eine seltsame Ruhe. Ich kannte das: Es war diese furchtbare Unausweichlichkeit, die ich schon verspürt hatte, als er mich das letzte Mal umbringen wollte. Aber damals war es ihm nicht gelungen, mich zu töten.
Und wenn es ihm damals nicht gelungen war, würde es ihm auch jetzt nicht gelingen. Ich musste beinahe lachen, als ich ganz automatisch versuchte, mein Angstniveau einzuschätzen – es musste bei um die sechzig Punkte liegen.
»Mr Newell, nett, dass Sie vorbeischauen«, sagte ich.
Er lachte. Im selben Augenblick spürte ich bei ihm eine gewisse Verunsicherung. So groß, wie ich ihn in Erinnerung hatte, war er im Grunde gar nicht, vielleicht hatte ich mir dieses riesige Monster von einem Mann nur eingebildet. Wahrscheinlich erkannte auch er mich nicht wieder. Ich war ganz anders als die Catherine, die er zurückgelassen
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